Beschränkte Ressourcen und Preisbildung über das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sind die wesentlichen Elemente ökonomischen Denkens. Der Wert entsteht in der Regel über eine Verknappung von Ressourcen und die sich daraus ergebende Verknappung der Verfügbarkeit. Weniger Angebot bei mehr Nachfrage erhöht den möglichen Preis und umgekehrt. Das nennt die Ökonomie dann „Preisbildung“ bei „Wettbewerb“ in einem „Markt“. Ein gewisser Grad an Wettbewerb schafft eine gewisse Form einer optimalen Ressourcen-Allokation innerhalb dieses Marktes. Wesentliche Voraussetzung dabei ist, dass die „Güter“ zugänglich und austauschbar sind, sonst entstehen (natürliche) Monopole.
In der Liebe, besonders in Form einer „bedingungslosen Liebe“, ergibt sich eine ganz besondere Ökonomie. Ich liebe eine Person – bedingungslos – und somit wird der Wert dieser einen Person, die ich liebe, unendlich. Das Angebot beschränkt sich auf diese Person, es gibt nur diese eine Person, die ich liebe und somit gibt es aus dieser Sicht nur dieses eine „Angebot“, das durch keine andere Frau oder keinen anderen Mann ersetzbar ist. Die Ware oder das „Gut“ ist das Gefühl der Liebe zu dieser Person. So diese Liebe dauerhaft ist, hat diese eine Person für mich einen unendlichen Wert ein Leben lang. Ein Wettbewerb ist in der Liebe unmöglich, denn das Gefühl ist exklusiv.1Außer wir sprechen von Polyamorie – also die gleichwertige Liebe zu verschiedenen Menschen, was in diesem Text als Spezialfall nicht weiter berücksichtig wird, da es an der grundsätzlichen Aussage nichts ändert. Aus dem Gefühl entsteht ein Begehren und eine Leidenschaft für die eine, die geliebte Person.2Die Liebe zu einem Kind ist für Mutter/Vater nicht ersetzbar durch ein anderes Kind, wäre ein anderes Beispiel.
Wird die Verfügbarkeit und somit das Angebot an möglichen PartnerInnen durch z.B. Dating-Apps erhöht, so entsteht ein größerer Markt für potentielle PartnerInnen. Menschen beginnen sich auf diesem Markt zu positionieren und zu vermarkten. Das haben sie immer schon getan, früher in Gaststätten, am Marktplatz oder bei Festen, heute geht das online und mit Photos und Videos. Die Form ist anders, das Konzept bleibt, doch die Verfügbarkeit und somit die Möglichkeit verändert sich. Das Angebot an möglichen PartnerInnen wird gesteigert und je nach Marktwert erhöht dies auch die Nachfrage. Eine neue Verabredung ist schnell organisiert, neue potentielle PartnerInnen können mit relativ wenig Aufwand und somit Kosten akquiriert werden. Die Verfügbarkeit erhöht somit das Angebot und senkt den Preis bei gleichbleibender Nachfrage.
In einer solchen Denke wäre es nur „logisch“, dass die Chancen am Markt dadurch erhöht werden, indem das Produkt – ich selbst – auf möglichst vielen Portalen möglichst gut präsentiert und vermarktet wird. Die Klicks nehmen zu, die Nachfrage wird angeregt, die Anzahl der Dates nimmt zu, der Marktwert ist gesteigert. Das Produkt „Ich“ ist kommerzialisiert.3Eine schöne Paradoxie: Je intensiver jemand Dating-Apps nutzt, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass jemand „Single“ ist und auch längerfristig bleibt.
Verkauf bedeutet Beschönigung und Vermarktung bedeutet etwas besser darzustellen, als es tatsächlich ist. Die Steigerung der Nachfrage und die Kommerzialisierung des „Ich“ befeuern dies mit der Absicht, den Marktwert zu steigern. Aus Sicht einer Güter-Ökonomie ist das soweit gut und einfach nachvollziehbar. Verkauf und Marketing haben primär den Fokus auf der Steigerung der Nachfrage und der s.g. „Conversion-Rates“, also von wie vielen InteressentInnen wird das Produkt oder Service letztlich dann auch gekauft.4Coaching-Angebote mit dem Versprechen, den eigenen Marktwert zu steigern oder die perfekte Frau zu finden mit der entsprechenden „Strategie“ florieren dem entsprechend. Die Zufriedenheit mit der Nutzung des Produkts oder Services ist in weiterer Folge wichtig, doch gerade bei kurzlebigen Produkten, s.g. Wegwerfprodukten, nicht wesentlich.
Niemand verliebt sich auf einer Dating-Plattform, das Service der Dating-Plattform ist eine mehr oder weniger intelligente Vermittlung von potentiellen Personen, in die sich jemand in weiterer Folge verlieben könnte und aus dem unter Umständen dann (bedingungslose) Liebe entstehen kann.
Somit sind Dating-Plattformen potentiell Fluch und Segen zugleich. Sie erhöhen die Verfügbarkeit von möglichen PartnerInnen in der Phase der Kontaktaufnahme und verringern gleichzeitig die Austrittsschwelle aus einer Beziehung, als es einfach ist, sich „Optionen“ offen zu halten. Der Wert einer Beziehung sinkt durch die Verfügbarkeit neuer potentieller PartnerInnen. Diese Verfügbarkeit führt im schlimmsten Fall des rational-ökonomischen Denkens zu einem ständigen Optimieren. So werden die bestehenden PartnerInnen laufend zu anderen potentiellen PartnerInnen im Vergleich gesetzt oder es erfolgt die Optimierung über den Wechsel von PartnerInnen. Ziel ist es, die/den vermeidlich „perfekten“ PartnerIn zu finden.
Die Ökonomie der (bedingungslosen) Liebe versteht das so nicht, denn die Liebe ist ein tiefgehendes Gefühl für eine Person, die sich vielleicht über Jahre und Jahrzehnte exklusiv zu einer Person entwickelt hat, indem alle möglichen Höhen und Tiefen des Lebens gemeinsam durchlebt wurden. Zerbricht diese Liebe, so ist gefühlt zunächst einmal absolut gedacht „alles“ verloren. Es ist in der ökonomischen Konsequenz „extrem“, denn es gibt einzig „null“ oder „eins“. Es ist ein natürliches Monopol.
Dating-Plattformen ändern daran nichts, sie erhöhen einzig die Verfügbarkeit von möglichen anderen PartnerInnen, in die ich mich verlieben könnte. Somit reduziert sich die Eintrittsbarriere in einen möglichen Markt und so ich von diesem Markt Gebrauch mache, reduziert sich der Wert von Beziehung. Das ist eine Entscheidung, die getroffen werden kann.
Die Liebe versteht das nicht, denn sie ist ein Gefühl für eine Person und dieses Gefühl lässt sich nicht einfach austauschen. Vielmehr ist es ein Gefühl, das ein Leben lang zu einem gewissen Grad vorhanden sein wird, sich immer wieder neu aufbaut oder aufbauen kann und im Moment der Liebe durch nichts und niemanden austauschbar ist.
Die Kommerzialisierung von Liebe ist physiologisch gesehen nur sehr bedingt möglich, die Kommerzialisierung von Beziehung, Partnerschaft und auch wechselnder SexualpartnerInnen hingegen gut organisierbar. Doch all das hat nichts mit (bedingungsloser) Liebe zu tun. Sie bleibt exklusiv und jedEr, die/der das Glück im Leben hatte und hat, eine solche Liebe jemals empfinden zu können und auch erwidert bekommen zu haben, versteht das Gefühl. Der Markt für Gefühle ist nicht erfunden und aus meiner Sicht wird er das auch niemals werden, zumindest nicht mit der Liebe. In wen ich mich verliebe und für wen ich tiefgehende Liebe empfinde, bleibt – so hoffe ich für immer – ein romantischer „Zauber der Natur“, der sich nicht quantifizieren und rationalisieren lässt. Die Entwicklung des Gefühls der Liebe bleibt eine einzigartige Reise, ein geheimnisvoller Prozess und genau das macht es so wertvoll.
Medizinisch gesehen ist die „Verliebtheit“ gut entschlüsselt, die Wahrscheinlichkeit für eine gute Beziehung einfach erklärt, als ähnliche Partner5Was „ähnlich“ in diesem Kontext bedeutet soll hier nicht im Detail diskutiert werden. Es hat mit ähnlichen Wertvorstellungen, Verhaltensmustern und Interessen jedenfalls zu tun. mehr Chancen für eine langfristig zufriedene Beziehung haben. Doch die Liebe nicht. Sie bleibt ein Mysterium und somit kann es auch keine „Ökonomie der Liebe“ geben.
„Wissenschaftliche Erklärungen nehmen der Liebe nichts an der Faszination, Rätselhaftigkeit oder Romantik – sie ist und bleibt das sagenumwobenste, beeindruckendste und zentralste Gefühl der Menschheit.“
Julia Fischer 2020: Die Medizin der Gefühle: Gebrochene Herzen, Freudentränen, Gänsehaut!“, Knaur Verlag
Erich Fromm spricht in diesem Kontext vom Übergang vom „Haben“ zum „Sein“. Julia Fischer erklärt das Oxytocin, unser Bindungshormon im Gehirn. Klar ist, dass Liebe eng verbunden ist mit Vertrauen, Geborgenheit und Dankbarkeit. Selbstloses Verhalten ist Grundvoraussetzung.
Ökonomisch gesehen wird somit die liebende Person „wertlos“, denn sie agiert selbstlos und macht sich möglichst verfügbar. Ökonomisch gesehen wird die geliebte Person „unendlich wertvoll“, denn sie ist durch nichts und niemanden ersetzbar. So sich beide Menschen (bedingungslos) lieben, entsteht somit ein Wechselspiel zwischen wertlos und unbezifferbar wertvoll. Ökonomisch gesehen ist somit die Liebe nicht versicherbar, denn das Risiko ist unendlich groß, sie zu verlieren. Ökonomisch gesehen ist es auch nicht ersetzbar, denn der Wert ist unbezahlbar, der Preis unendlich.
In diesem Verständnis von (bedingungsloser) Liebe macht Wettbewerb keinen Sinn und die gesteigerte Verfügbarkeit ändert nichts, außer die Möglichkeit hin zur Verliebtheit zu Beginn. Die Kommerzialisierung des „Ich“ hingegen bewirkt Einiges, was der Liebe nicht guttut. Wird Beziehung zur austauschbaren Ware, so sind sehr wahrscheinlich keine tiefgehenden Gefühle im Spiel und Vertrauen kann nicht entstehen. Wer jemals wahrhaft geliebt hat, weiß, dass dieses Gefühl nichts von einer käuflichen Ware hat. Treue und Loyalität sind das Fundament, auf dem (bedingungslose) Liebe entstehen kann. „Takotsubo“, das gebrochene Herz Syndrom bei einer Liebestrennung hat eine signifikante Mortalität. Suizid aus Liebeskummer ist wesentlich. Ich würde die These äußern, dass eine kaufbare Ware, ein kommerzialisiertes „Ich“ so ziemlich das genaue Gegenteil des Gefühls von bedingungsloser, inniger und gegenseitiger Liebe ist.