(c) Karl Baumann 2007: Tisch im Büro, Krems an der Donau im Januar
  • „T1: Es ist menschenunmöglich, einen Standpunkt einzunehmen, von dem aus das Verhältnis menschlicher Urteile zur vom Menschen un-abhängigen Realität bestimmt werden könnte. Jede Erkenntnis ist ein Wissen von Menschen. (Beobachtertheorem)
  • T2: Jedes Wissen muß vom einzelnen Subjekt mit den Mitteln des ihr/ihm jeweils subjektiv verfügbaren kognitiven Inventare konstruiert werden. (Konstruktivitätstheorem)
  • T3: Jedes Wissen kann nur mit den Mitteln des dem Menschen jeweils subjektiv verfügbaren kognitiven Inventars validiert oder invalidiert werden. (Geltungstheorem)“ (Rusch (Hrsg.) 1999, S. 8-9)

Nun mag jemand all dies schnell wegwischen, indem er/sie diese Aussagen als konstruktivistisch klassifiziert: „Dies sind halt Hirngespinste jener, die nicht kapieren wollen, dass die 4 Bücher, der Tisch, die zwei Stühle, die Tasse vor mir einfach da sind und nicht wegdiskutiert werden können.“ Darüber gebe es ´objektiv´ Konsens, mag man behaupten.

Dies wird von mir auch nicht in Frage gestellt, ich betone nur, dass diese Ordnung der ´Objekte´ keine Wahrheit darstellt.

Dazu ein Auszug aus einer Geschichte von H. R. Maturana:

„(…) Mein erstes biologisches Anliegen trat umfassend in Erscheinung mit der Frage nach der Erkenntnis, als ich 1964 in Versuchen mit Tauben Farbwahrnehmung studierte und dabei feststellte, dass ich die Aktivität der retinalen Ganglienzellen nicht mit den Farben korrelieren konnte, die ich in Begriffen ihrer spektralen Komposition spezifiziert hatte, und ich mich fragte, ob die Aktivität der Retina nicht statt dessen mit den Namen der Farberfahrungen korreliert werden kann. Für mich war es leicht, eine solche Frage zu stellen, nicht aber für meine Kollegen. Eine solche Frage bringt es nämlich mit sich, das Nervensystem in sich selbst zu schließen, und kein Neurophysiologe würde das 1964 bis 65 getan haben, selbst wenn von Rückkoppelung mit der Umgebung (McCulloch) oder von Referenz (von Host) gesprochen wurde. Für Physiologen und Biologen im allgemeinen war die Um-welt eine Gegenwart, die gewusst werden konnte, und diese Betrachtungsweise macht es unmöglich, das Nervensystem als ein geschlos-senes Netzwerk in Überschneidung mit dem Organismus zu sehen.“ (Maturana 1998, S. 17)

Die Konsequenz aus all dem und vielem mehr1Die epistemologische Diskussion, die damit verbunden ist, kann bei P. Watzlawick, H. von Foerster, H. R. Maturana, M. Foucault, N. Luhmann, J.-F. Loytard oder P. Sloterdijk nachgelesen werden. Die Schlagwörter dazu sind Konstruktivismus oder Postmodernismus. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den ontologischen, epistemologischen und methodologischen Folgerungen im speziellen für Controlling/Evaluation/Wissenschaftsindikatoren findet man bei M. Habersam und S. Hornbostel. ist, dass die Realität eine Reduktion der Wirklichkeit sein muss, und daher unsere bequeme Vorstellung, das ´Ist´ mit dem gleichzusetzen, was für uns individuell ist und dadurch glauben, ´objektiv´ zu sein, nur Schein und nicht Sein ist.

Ein Beispiel zur Erläuterung dessen, was passiert, wenn nicht von ´objektiv´ gedacht wird.

Wir mögen einen Tisch finden, die meisten im übrigen, die auf 4 Beinen stehen. Das ´Objekt´ ist klar definiert. Es gibt die Erkenntnis, dass der Tisch auf 4 Beinen steht. Das ist so und das wird auch jedEr bestätigen, die/der durch sehen oder tasten die 4 Beine wahrnimmt.Wo liegen die Einschränkungen dieses Denkens:

  • Sagen wir, in einem Raum steht ein Tisch. Wir lassen zwei Personen getrennt in den Raum, und jedEr beschreibt den Tisch. Dabei ergibt sich eine Abweichung beider KandidatInnen, dass die/der erste den Tisch mit 4 Beinen und die/der zweite den Tisch mit 4 Füßen beschreibt. Wer hat recht und was wissen die beiden ´objektiv´? Wenn die beiden nachher gemeinsam über den Tisch sprechen, werden Sie sich einig sein, dass er auf 4 Beinen oder Füßen steht. Also 4 ist die Erkenntnis, sie ist jedoch nicht ´objektiv´, da die beiden ja nicht ihre Wahrnehmung auf jeden Menschen abstrahieren können. Erst dann bestünde so etwas wie ´objektive Erkenntnis´. Diese wäre jedoch wiederum eingeschränkt, indem sie natürlich nur auf den speziellen Tisch zutrifft und nicht auf alle Tische dieser Welt. Das heißt, wir, alle Menschen würden nach all dem wissen, dass dieser eine Tisch 4 Beine oder Füße hat. Daneben können sich die beiden noch darüber einigen, ob es nun Beine oder Füße sind, die sie da wahrnehmen (sehen). Das heißt, dass sie durch einen gegenseitigen Konsens die Erkenntnis konstruieren, dass es sich z.B. um Beine handelt.
  • Folgerung: Das, was die beiden nach allem wissen, ist, dass dieser spezielle Tisch 4 Beine (nicht Füße) besitzt. Dieses Wissen ist auf den Tisch und die beiden Personen be-schränkt2Die Erzählerperson (ich), die das alles beobachtet, ist dabei auch nicht ´objektiv´ sondern nur fiktiv. Gebe es die/den Beobachter/in, der die beiden bei ihren tun verfolgt, so hat die/der zwar die Erkenntnis gewonnen, dass der Tisch für die beiden Testpersonen aus 4 Beinen besteht, weiß aber deshalb nicht mehr über den Tisch oder den Rest der Tische. und kann daher nur als Erkenntnis der beiden über den speziellen Tisch gelten (vgl. Maturana 1998, S. 15) und erfüllt somit nicht den Anspruch von ´Objektivität´.
  • Was ist jetzt mit einem Tisch (´Objekt´), der dem ersten zu 100% gleicht3hier gibt es ja auch in der deutschen Sprache die Diskrepanz in der Unterscheidung von “dasselbe” und “das gleiche”.?

Hier beginnt es langsam noch komplexer zu werden. Zum einen, wie sollen die beiden feststellen, ob jetzt ein zweiter neuer Tisch in dem Raum dem ersten zu 100% gleicht oder nicht4Dabei kann es ja nicht sein, dass ein und derselbe Tisch zweimal im Raum ist., und wenn es so wäre, besteht dann automatisch die Erkenntnis für die beiden, dass der neue Tisch auch aus 4 Beinen (nicht Füßen) besteht. Dabei zeigt sich schon bei flüchtigem Nachdenken, dass ohne ein Einführen eines Systems von außen die beiden nicht überprüfen können, ob ihre wie auch immer geartete Entscheidung über die Gleichheit der Tische richtig oder falsch ist. Wiederum ist ihre Erkenntnis Resultat ihrer Wahrnehmung und des daraus folgenden Konsenses darüber, ob sich die Tische nun gleichen oder nicht.

Das Beispiel soll illustrieren, dass es möglich ist, zu einer Erkenntnis zu gelangen, diese jedoch nicht den Charakter einer ´Objektiven Erkenntnis´ haben kann. Welche ganz praktischen Auswirkungen diese Gedankenspiele haben können, beschrieb ein Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung5Neue Zürcher Zeitung: „Wie unsicher darf Technik sein? Berücksichtigung von subjektiven Faktoren bei der Bewertung von Risiken“, 15.12.1999, S. 53, wo aufgrund der Unfälle im Montblanc- und im Tauerntunnel Sicherheitsbewertungen erstmals unter Einbeziehung ´subjektiver Faktoren´ diskutiert wurden.

„Für Ingenieure und andere Experten sind die Befürchtungen mancher Technikkritiker nicht immer leicht zu akzeptieren, weil sie auf einer anderen Ebene als der reinen Berechnung von Eintrittswahrscheinlichkeiten liegen.“ (Stephan Wehowsky6Neue Zürcher Zeitung: ´Wie unsicher darf Technik sein?, 15.12.1999, internationale Ausgabe, S. 53)

Das revolutionierende an der zum Ausdruck gebrachten Kritik ist, dass die/der Techniker/in seiner ´objektiven´ Expertenrolle entzogen wird. Über die Diskussion der Risikobewertung erfährt die/der Techniker/in wieder ihre/seine Ohnmacht, der Vielfalt des Lebens durch ihre/seine beschränkten Erkenntnisse “Herr zu werden”.

Referenzen

  • Rusch, Gebhard (Hrsg.) (1999): Wissen und Wirklichkeit – Beiträge zum Konstruktivismus, Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg
  • Maturana, Humberto R. (1998): Biologie der Realität, Suhrkamp, Frankfurt am Main