Zum Glück, auch so kann die Ironie des Schicksals gesehen werden, hat die Weltwirtschaftskrise auch eine andere Krise hervorgerufen: die Krise des Rationalitätskonzepts, wie es vor allem ÖkonomInnen in den letzten Jahrzehnten vertreten haben und wie es größtenteils von den betriebswirtschaftlichen Disziplinen unreflektiert übernommen wurde.
In einer meiner letzten Seminare, die ich an der Universität im Bereich „Controlling“ bereits vor einigen Jahren – zugegeben auch schon etwas ent- und genervt von dem starren akademischen Betrieb und der modernen Lehre und Lehrinhalte – gehalten habe, stand wieder einmal „Rationalität“ zur Diskussion. Ich hatte zu diesen Zeitpunkt hunderte Lehrveranstaltungen an verschiedenen Universitäten in verschiedenen Bereichen der Betriebswirtschaft gehalten oder geleitet und hatte einige Distanz wieder zum Universitären Betrieb, als ich nicht mehr als Universitätsassistent arbeitete und ein Unternehmen aufbaute bzw. Organisationen dabei beraten durfte.
Rationalität war zu einer Art „Superstar“ in vielen Wissenschaften und auch in der Wirtschaft im 20. Jhd. geworden, vor allem ein „must have“ für ÖkonomInnen und BetriebswirtInnen. Richtige Entscheidungen werden durch Rationalität getroffen, erfolgreich zu wirtschaften heißt rational zu sein und die echte Wahrheit lässt sich durch Rationalität finden. Ich denke, den Begriff und das (moderne) Konzept der Rationalität, das damit verbunden ist, als eine Art „Superstar“ hinzustellen, ist fast noch „untertrieben“.
Nun haben ÖkonomInnen und WirtschafterInnen das Konzept über die letzten Jahre erforscht, gelehrt und verbreitet und doch – völlig „unmöglich“ – bricht plötzlich die Weltwirtschaft zusammen. Schon komisch. Doch das ist etwas, dass ich vor einigen Jahren, bei einer meiner letzten Seminare an der Universität alles noch nicht wissen konnte. Ich spürte jedoch zu diesem Zeitpunkt schon, dass etwas mit dem Konzept „Rationalität“ ganz und gar problematisch, nicht stimmig ist, so überkam mich ein Gefühl nach einem durchaus reflektierten und detailliert recherchierten Vortrag meiner noch studierenden KollegInnen und endlich hatte ich begriffen, was das eigentliche „Problem“ von „Rationalität“ ist, dachte kurz nach, setzte mich dann auf den Tisch vor meinen StudentInnen und sagte plötzlich ganz spontan und teilweise auch für mich überraschend1Moderne Rationalität hat eine Nähe zu Schizophrenie.: „(…) Rationalität macht einfach nur euer Leben2Liebe, Freude, Angst, Einsamkeit, Leidenschaft, Frustration, Schmerz, Trauer, Glück, Zärtlichkeit, Nähe, Zuneigung, Begehren, usw. kaputt!“
Rationalität ist ein Konzept, dass von „Gefühlskrüppeln“ entwickelt wurde und bis heute vertreten wird. ProfessorInnen, WissenschafterInnen, KünstlerInnen, ManagerInnen, die sich nicht mehr auf die Zuneigung Ihrer Mitmenschen einlassen (können), die keine Liebe geben oder empfangen (können), die zwangsoptimiert durch das Leben zu gehen versuchen und sich die ganze Zeit selber vormachen, wie gut es Ihnen dabei geht, weil sie etwas „optimal“ gemacht haben. Rationalität ist ein Konzept, das von Menschen entwickelt wurde und bis heute vertreten wird, die keine soziale Wärme mehr (ver)spüren (können), es sind größtenteils Menschen, die eigentlich sozial-psychologische Therapie notwendig haben.
Ein Leben ohne Gefühl, Emotion und Leidenschaft ist ein wertloses Leben – ganz einfach und gerade ein Streben nach Wahrheit – ein ohnehin paradoxes Unternehmen3Paradox insofern, als in den aller meisten Fällen, wo neue „Wahrheiten“ gefunden werden, alte „Wahrheiten“ auch zerstört werden. – bedingt oder beruht auf Gefühl, Emotion und Leidenschaft.
Erfolgreiche (und sehr wahrscheinlich auch mit sich zufriedene) WissenschafterInnen als auch UnternehmerInnen hat immer schon ihr Gefühl, ihre Emotion und ihre Leidenschaft für ihr Tun ausgezeichnet. Erst als diese sonderbare Figur der/des ManagerIn erfunden wurden, war dies plötzlich nicht mehr so. Denn (zumindest) die/der ManagerIn musste rational sein, rationale und deshalb richtige Entscheidungen treffen, usw. – (zumindest) bis zum Anfang des 21. Jhd4Ich freue mich, dass dies (Rationalität), bis auf einige wenige „hardlinerInnen“, die nicht von ihren Theorien ablassen können, nunmehr vorbei ist und somit auch für ManagerInnen zukünftig wieder sozial-psychologisch gesunde Rahmenbedingungen möglich(er) und wahrscheinlich(er) werden..
Dabei leuchtet es sehr wahrscheinlich schon einem durchschnittlich intelligenten Kind ein, dass perfekte Information (also alles über etwas Wissen) – Grundvoraussetzung so genannter rationaler Entscheidungen – absurd ist.
Postmoderne und sozialer Konstruktivismus haben sich am Ende des 20. Jahrhunderts damit geplagt, dieses moderne Rationalitätsverständnis zu kritisieren, zu entschleiern, zu entkräften und sind vielerorts in einen ähnlichen Wahnsinn verfallen, als plötzlich das „Verhandeln“ von Positionen, Standpunkten, etc. zum „must have“ oder zum Dogma geworden sind. Auch das „Du kannst nicht alles sehen, hören, wissen“ kann zum Zwang werden.
Und dabei könnte es dem Grunde nach sehr einfach sein. Das sehr wahrscheinlich Wichtigste dafür, dass es (das Leben) sehr einfach ist, ist eine gesunde Portion Selbstvertrauen und die soziale Stabilität für eine gewisse Form von Selbstironie.
Worauf soll sich denn ein Mensch noch freuen können, wenn sie/er bei jeder Entscheidung (sei es für ein Restaurant, ein Essen, ein Kleidungsstück, ein Hotel, ein Auto, ein Flugticket, eine Reise, einen Spaziergang, einen Laptop, einE neue MitarbeiterIn, ein neues Projekt, usw.) optimal weil (modern) rational vorgehen muss. Da wird der Entscheidungsprozess schon zu einem Zwang ohne Freude und beim optimierten Essen, beim optimierten Tragen, beim optimierten Wohnen, beim optimierten Reisen, usw. vergeht ihr/ihm auch bald jegliche Freude, da sich ja schon bald die Fragen aufdrängen, ob denn nicht das Restaurant nebenbei, das andere Essen, das grüne Kleid, das größere Auto, eine andere Fluggesellschaft, ein anderes Reiseziel, kein Spaziergang, etc. doch das „Optimalere“ gewesen wäre.
Warum nicht einfach danach entscheiden, was für sie/ihn Sinn macht? Das würde die Diskussion um „richtige“, „optimale“, „rationale“ Entscheidungen wieder auf das ursprüngliche Problem, das Bildungsproblem rückführen. Denn was für einen Mensch Sinn macht, „entscheidet“ sich ganz wesentlich durch ihre/seine Bildung, also all das, was ein Mensch so im Verlaufe ihres/seines Lebens lernt (und auch verlernt), erfahren (und auch wieder vergessen) und letztlich verstanden hat.
Sehr weit gehende Zustimmung zu dem Beitrag, nur sollte bei der Titelüberschrift auch der Umkehrsatz hinterfragt werden – nämlich, „ob frau/man sich durch Irrationalität das Leben nicht kaputt macht…“ und da beginnt die Frage der Balance zwischen rationalem und irrationalem Verhalten. Jeder kreative Mensch handelt in gewissem Maße etwas irrational und das ist gut so. Stets “rational” bei allen Entscheidungen zu handeln, wäre einfach „fad“ – manchmal wäre etwas Rationalität aber doch angebracht, z.B. wenn ein Kredit für ein Haus aufgenommen wird, wohlwissend, dass der Kredit selbst unter optimalen Bedingungen nie zurückgezahlt werden kann – was immer häufiger vorkommt. Der Unterschied zwischen “rational” und dem was “Sinn macht” gefällt mir.
Das zum Beitrag gehörende Bild kann – gerade im Zusammenhang mit dem Text – nicht anders als äußerst gelungen bezeichnet werden.
Rationalität ist inhaltsleer, auch oder gerade moderne Rationalität. Irrationalität, auch oder gerade moderne Irrationalität ist genau so inhaltsleer, wie (moderne) Rationalität. Insofern lässt sich daraus einzig Dogmatik oder Ideologie, wie eben jene Wirtschaftsideologie der letzten Jahrzehnte des 20. Jhd. und das erste des 21. Jhd., machen.
Sinniges und irrsinniges Verhalten und eine Balance dazwischen zu finden, das finden ich einen schönen und bereichernden Ansatz/Gedanken/Konzept, gerade wenn es um Kreation, also den Akt der Schöpfung geht.
Der Ansatz “Was für eine/n Sinn macht” klingt gut, ist aber in Realität oft nur schwer zu leben, da das, “was für eine/n Sinn macht” nur selten in Einklang mit dem steht, was für die “Gesamtheit” Sinn macht. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die “Gesamtheit” ständig versuchen wird, die “Einheit” zur Räson zu rufen mitunter auch zu zwingen. Das “Du musst dich ändern” steht dadurch in einem ständigen Kampf mit “Das macht (k)einen Sinn für mich”. Letztendlich ist es völlig wurscht, ob Rationalität oder Irrationalität oder ein Kompromiss zwischen beidem: Jede Theorie ist der Beginn eines Dogmas und damit eines Zwangs zu einer bestimmten Weltanschauung. Theorie ist ein Hamsterrad.
Mit dem ersten Teil des 3. Kommentars bin ich einverstanden – die Unterscheidung zwischen rational und irrational ist ein normativer Prozess, daher ist es tatsächlich „wurscht“ ob etwas rational oder irrational ist, hier eine Messlatte zu finden wäre wohl Haarspalterei. Mit dem letzten Satz bin ich nicht einverstanden: Zwar kann die Theorie der Anfang eines Dogmas sein, aber nicht zwangsläufig – eine Theorie ist stets nur eine Anschauung (die zumindest in den Naturwissenschaften immer zu anderen Anschauungen führt), während ein Dogma als unumstößliche Lehrmeinung gilt, darin liegt ja die Tragik der Dogmatik.
Eine Theorie als “Anschauung” zu verstehen, ist wunderbar.
Die Frage ist dabei doch, mit welcher Methode und im Kontext welcher Weltanschauung die Theorie, also die konkrete Anschauung, entsteht (Methodologie, Ontologie, Epistemologie). Alles “Dinge” und “Undinge”, die mit “Kennen” und “Können” zu tun haben. Insofern sehe ich eben die Fragen nach Bildung oder (breiter) nach dem Bildungsprozess als entscheidend für die Art und Weise von “Entscheidungen” (auch im Zuge von Theorie-Bildungen) an. Eine Theorie oder eine Entscheidung HAT somit eine gewisse Rationalität oder ein gewisses Dogma in sich, das lässt sich nicht vermeiden. Diese Feststellung ist soweit inhaltsleer.
Mit der Bezeichnung von ganz bestimmten Methoden und Weltanschauungen als “rational” lässt sich allerdings (Mikro-)Politik machen, indem bestimmte Selbstverständnisse, also Normen erfunden und durchgesetzt werden. Dies erfolgt zumeist aufgrund ganz bestimmter Zwecke. Also “Rationalität” wird dazu benutzt, ist somit normativ, um mit dem Begriff – der zwischenzeitlich so stark geworden ist, dass sich kaum noch jemand getraut, ihn zu kritisieren – Interessen (verschleiert in Theorien) durchzusetzen. Gerade in den Naturwissenschaften sehe ich dies sehr stark, da es gerade dort bei Entscheidungen zwischen diesem oder jenen Theorie-Ansatz in der Forschung in der Konsequenz zumeist auch um sehr viel Geld für dieses oder jenes Produkt, Verfahren, etc. für dieses oder jenes Unternehmen geht.
Wichtig ist somit neben Bildung auch noch Kritik, oder noch besser “Kritikfähigkeit”. Damit meine ich die Fähigkeit, Methoden und Weltanschauungen von Theoriebildungen (also Theorie und Bildung) verstehen und hinterfragen zu können. Daraus lässt sich ein Urteil bilden, ob eine Entscheidung oder Theorie sinnig oder irrsinnig ist?
Theorie – Anschauung – Urteil: auch egal, denn die Frage aller Fragen ist: Wohin führen uns Unterscheidungen, Trennungen und Urteile? Dualitäten. Dualitäten sind Ideenkriege: Kämpfe zwischen Zuneigung und Abneigung.
Alle Dualitäten entstehen durch Irrtum. Sie sind wie Träume von Blumen in der Luft; lächerlich, sie mit Händen greifen zu wollen. Gewinn und Verlust, richtig und falsch; schaffe solche Gedanken mit einem Mal ab.(aus Hsin-Hsin-Ming)
Dinge – Undinge, Rationalität – Irrationalität. Papperlapapp.
In den Naturwissenschaften kann man wegen des notgedrungen methodisch meist induktiven Vorgehens durchaus von „Anschauung“ sprechen (im Gegensatz zu den deduktiven Ansätzen der Geisteswissenschaften). Der Naturwissenschaftler sieht etwas, macht ein Experiment, welches sich zunächst ebenfalls nur als „Anschauung“ eines Ergebnisses darstellt, es können weitere Experimente folgen, welche die jeweilige „Anschauung“ dann verändern. Wer da Ansätze zu dogmatischem Denken einfließen lässt, wird sehr schnell von anderen Anschauungen eingeholt – wie bisher fast jede naturwissenschaftliche Theorie. Deutlich wir das z.B. bei der Kopernikanischen Weltanschauung, die meist als heliozentrisches Weltbild bezeichnet wird und auf reiner „Anschauung“ von etwas Gesehenem beruht. Die Keppler’sche Lehre war in dem Augenblick fast zum Scheitern verurteilt, als Keppler Unstimmigkeiten durch immer mehr (dogmatische) „Epizyklen“ zum Stimmen bringen wollte und die Weltäthertheorie eines Christiaan Huygens, sowie die Vorläufertheorien von Descartes und Robert Hooke, waren dogmatische Ansätze, die im Gegensatz zu den Geisteswissenschaften keinen Platz im Naturwissenschaftsgebäude haben sollten, was auch heute von vielen Naturwissenschaftlern gerne übersehen wird. Insbesondere sind für mich die Theorien Albert Einsteins, dessen beiden Relativitätstheorien ja ohne jegliche Experimente zustande kamen und die Stringtheorie, Beispiele für Dogmatismus in den modernen Naturwissenschaften. Einstein hat das Glück, dass bisher kein Experiment gegen die Allgemeine Relativitätstheorie spricht – was sich jederzeit ändern kann. Chemiker neigen aus bestimmten Gründen etwas weniger zu dogmatischen Ansätzen.
Ich kenne den von Ihnen angesprochenen Ansatz der Naturwissenschaftskritik recht genau. nach welchem gesellschaftliche, ökonomische, sowie politische Ziele wesentlich die naturwissenschaftliche Theorie und Praxis beeinflussen würden – das hat jedoch mit dem Wesen der Naturwissenschaftstheorie rein gar nichts zu tun.
Ich werde in den „Igler Reflexen“ demnächst einen schon lange geplanten Beitrag über diese Thematik publizieren und dann könnte man diesen für mich sehr interessanten Dialog sehr gerne fortsetzen.