(c) Karl Baumann 2015: Blätter im Chaos, Waldviertel im November, iPhone 4S

Das Prinzip der Unterscheidung, oder besser das Formenkalkül von Spencer-Brown, lässt sich auf jedwede Situation anwenden, wo der weiße Untergrund der Unterscheidung zu einem beschränkten Blatt Papier wird. Überall dort entsteht die Differenz weiter1Dahinter versteckt sich der s.g. double bind. „Der double bind, der in der modernen Welt uneingeschränkt über die zwischenmenschlichen Beziehungen herrscht, ist eine Art von Widerspruch, der seit langem in der Logik bekannt ist, die ihm den Namen selbstreferentielles Paradox gegeben hat.“ (Dumouchel/ Dupuy 1999, S. 128). Oder, wie es Ortmann (2003, S. 101) darstellt, Regeln inkludieren deren Regelverletzung. So trifft das Ordnungsprinzip auch auf die Zerteilung der Gutsformen in dem Sinne zu, dass es bei konsequentem „Zu-Ende-Denken“ der Argumentation offen lässt, was denn nun das ursprüngliche ist, das private Gut oder das öffentliche Gut. (vgl. Abbildung 1)

Als Konsequenz zu der dahinter stehenden Denke muss die Argumentation hinsichtlich privater und öffentlicher Güter in einen dogmatischen Kanon münden, der immer wieder die eine oder andere Grenzziehung rechtfertigen muss, da der Rest unerklärt bleibt. Oder will die Ökonomie sich eingestehen, dass es da einen großen blinden Fleck gibt? (vgl. Abbildung 2)

(c) Karl Baumann 2005: Gutsformen, Abbildung aus "Organisation der Strategie", S. 12, Carl-Auer-Verlag

Abbildung 1: Gutsformen in der Theorie des Marktversagens (vgl. Blankart 1998, S. 64)

(c) Karl Baumann 2005: Blinder Fleck, Abbildung aus "Organisation der Strategie", S. 12, Carl-Auer-Verlag

Abbildung 2: blinder Fleck der Theorie des Marktversagens nach dem Formelkalkül von Spencer-Brown

Die Aufgaben des Staates können nicht dort enden, wo die Definition von Gütern eine Grenzziehung produziert, die alles weitere zu einem blinden Fleck der Ökonomie und somit auch der potenziellen Rolle für den Staat in der Behebung von Marktversagen produziert. (vgl. Blankart 1998, S. 53) So stellt sich keinesfalls die Frage: Warum gibt es überhaupt öffentliche Güter2Diese Frage wurde von Prof. Margit Osterloh bei ihrem Vortrag zum Thema „Open Source Software: New Rules for the Market Economy?“ an der Universität Graz am 23.05.03 gestellt. (vgl. auch Frey/ Osterloh 2002)?, sondern vielmehr: Warum gibt es überhaupt private Güter? Aus Abbildung 1 ist zu erkennen, dass dafür ein Ausschluss und eine Rivalität notwendig sind. Die entscheidende Frage ist, so von einer solchen Überle-gung ausgegangen wird, was denn wiederum das Ursprüngliche davon ist, also ist die Rivalität und der Ausschluss eine Art Naturgesetz oder müssen diese Größen vielmehr für sich produziert werden und folglich auch eine Art Gestaltungsraum mit sich bringen. Dabei ergibt sich aus der Dialektik der Begriffe, dass der Ausschluss, so er nicht natürlich für jederfrau und jedermann gilt3Dann würde nicht von einem Gut gesprochen werden können., hergestellt oder produziert werden muss. Er ist Folge einer Handlung und wird durch die Produktion des Ausschlusses zu einer Bedingung von Handlung für den Ausgeschlossenen und den Ausschließenden. Es benötigt den Aufbau von Zäunen, um Eigentum entstehen lassen zu können. (vgl. Gronemeyer 2002) Hayek beschreibt die Notwendigkeit von Privat- und Sondereigentum4In der englischen Ausgabe wird der Ausdruck „several property“ verwendet. (vgl. Hayek 1983, S. 169FN) insofern, als es uns erst in die Lage versetzt, in unserem Handeln einen zusammenhängenden Plan zu verfolgen. Wenn wir „nicht der ausschließlichen Verfügung über gewisse materielle Dinge5Anmerkung: Hayek weist kurz zuvor darauf hin, dass es sich dabei nicht „ausschließlich oder auch nur hauptsächlich“ um materielle Dinge handelt. sicher wären; und wenn wir nicht selbst darüber verfügen können, ist es notwendig, daß wir wissen, wer darüber verfügt, so daß wir uns mit ihm über eine Benützung verständigen können.“ (Hayek 1983, S. 169) Die Zäune, die dafür aufgebaut werden müssen, zeigen sich zum einen in der „Anerkennung von allgemeinen Regeln, die die Bedingungen fest setzen, unter denen Gegenstände oder Umstände Teil des geschützten Bereichs einer Person werden“ (ebd.), aber auch ganz real in der Beobachtung der Höhe der Zäune vor jenen Eigentümern (Häusern, Immobilien, etc.), die besonders hohen Wert darzustellen scheinen. Für Hayek ist die Anerkennung von Zwang auch der erste Schritt eben zur Bestimmung des privaten Bereichs, der uns seinerseits gegen Zwang schützt. Diese Darstellung ist von besonderer Bedeutung, da er für die Beschreibung von Freiheit den Begriff des Zwangs und für die Beschreibung von Zwang privates Eigentum benötigt. „Wir haben Freiheit vorläufig als Abwesenheit von Zwang definiert.“ (Hayek 1983, S. 162) Somit kann gesagt werden, dass in der Denke von Hayek die Annerkennung von Privat- oder Sondereigentum Schutz gegen Zwang darstellt und somit Freiheit bedeutet. Andererseits kann auch gesagt werden, dass, um eine Anerkennung der Regeln und Zäune erwirken zu können, Zwang wiederum notwendig wird, oder vice versa. Wie Hayek (1983, S. 168) selbst schreibt, kann Zwang nur ausgeübt werden, wenn der „Zwingende die wesentlichen Bedingungen für das Handeln des anderen Menschen in seiner Gewalt hat“, also benötigt er den Staat oder einen anderen Souverän, der die allgemeinen Regeln und die Zäune aufbaut.

(c) Karl Baumann 2005: moeglichkeitsraum Güter, Abbildung aus "Organisation der Strategie", S. 13, Carl-Auer-Verlag

Abbildung 3: Möglichkeitsraum für private Güter (p) und öffentliche Güter (ö)

Die Rivalität ist da schon schwieriger und vielschichtiger zu diskutieren. Sie ist zum einen notwendige Bedingung für Krieg, was diese Diskussion auch hinsichtlich Strategie spannend macht und die Frage aufkommen lässt, ob die Rivalität eine anthropologische Grundbedingung ist oder ob sie nicht vielmehr eine Folge der zuvor produzierten Knappheit durch den Ausschluss ist?

Bevor darauf weiter eingegangen wird, lässt sich der Gedankengang zur Dialektik von Begriffen und Unterscheidungen, wie sie für Nonprofit und Profit, private und öffentliche Güter ausgeführt wurde, auch auf die Beziehung zwischen Krieg und Frieden darstellen. So erinnert Bauer-Jelinek (2003, S. 28) wieder an den Zusammenhang, der in der europäischen Diskussion nach dem 2. Weltkrieg tabuisiert wurde. „Die allgemeine Verdrängung der Kriegsthematik hat das Wissen über den Zusammenhang von Krieg und Frieden verschleiert: dass nämlich der eine ohne den anderen nicht existieren kann6„Diese Einsicht spiegelt der Wahlspruch römischer Heerführer wider: „Si vis pacem, para bellum“ – „Wenn du den Frieden willst, dann rüste zum Krieg.“ (Überliefert frei nach Flavius Vegetius Renatus, epitama rei militaris, 390 v. Chr., Originalzitat „qui desiderat pacem, praeparet bellum“) (Bauer-Jelinek 2003, S. 28).“ Der dialektische Zusammenhang der beiden Begriffe (vgl. Abbildung 3) lässt wiederum deutlich werden, dass eine gegenseitige Bedingung durch die Unterscheidung des einen nur durch das andere gegeben ist. So kann formuliert werden, dass es ohne Krieg auch keinen Frieden geben kann und vice versa. Der Frieden ist somit immer nur dann als solcher auch wahrnehmbar, wenn das Referenzsystem des Krieges als Unterscheidung vorhanden ist. Deshalb kann die Tabuisierung von Krieg und allen Themen, die damit in Verbindung stehen, Strategie7„Strategische Planung von Angriff und Verteidigung ist kein Gegenstand in der Schule, sie wird nicht auf der Universität gelehrt, (…)“ (Bauer-Jelinek 2003, S. 31), Macht, Kampf, Leid, Tod, Mord etc. gerade zu Krieg führen, da ein Vakuum an Veränderung produziert wird, das sich aus der Logik der Formen nur durch Krieg auffüllen lässt8„Ein Friede, der den Kampf nicht mehr kennt, wird mit der Zeit entweder selbst zu einem verdeckten gewaltsamen System, weil er seine oppositionellen Kräfte erstickt hat, oder er fällt der Lethargie und der Verkrustung anheim.“ (ebd., S. 44). An der Wortwahl der Ausführungen zu Krieg und Frieden wird bei dieser Diskussion auch deutlich, dass es sich mit Krieg und Frieden wie mit Chaos und Ordnung verhält. Die Ordnung muss produziert werden, während sich das Chaos selbst ergibt, so muss der Frieden gesichert werden (Friedenssicherung), während Konflikte und Krieg ohne weiteres Zu-Tun entstehen. Aus dieser Überlegung lässt sich auch sagen, dass es vermehrt Strategien der Produktion von Frieden bedarf denn Kriegsstrategien. Bei dem Versuch, das Problem von hinten zu betrachten, also Frieden über das Menschenrecht auf Sicherung des Überlebens und auf Entfaltung bzw. den Krieg über die Beschreibung von Frieden darzustellen, ergibt sich daraus eine Paradoxie. Die Frage, die sich dabei stellt, ist, inwieweit kann ein Scheinfriede, der zu Selbstschädigung für die Beteiligten führt, durch Kampfvermeidung zugelassen werden? „Hier deckt sich die Ansicht der Militärtheorie mit jener der Psychotherapie: Zu starkes Harmoniebedürfnis führt zur Depression und braucht zur Heilung eine Aktivierung der Konfliktbereitschaft und der Aggression.“ (Bauer-Jelinek 2003, S. 44) Oder, wie Johan Galtung (2000, S. 127) eindringlich beschreibt, haben Konflikte immer auch etwas Gutes, „denn durch sie werden Energien erzeugt, die grundlegende Veränderungen herbeiführen können. Sie stellen sozusagen das Rohmaterial für neue Schöpfungsakte zur Verfügung. Was dann im Ergebnis daraus wird, ist offen“.

Durch die Ein-Sichten des Formenkalküls von Spencer-Brown und der Umlegung auf die Dialektik von Krieg und Frieden wird Mahatma Gandhis Denke verständlich: „Es gibt keinen Weg zum Frieden, der Frieden ist der Weg.“ (Gandhi, in: Scherrer 1984, S. 13)

Nun zeigt sich bei weiterer Betrachtung, dass die Ökonomie die Dialektik der Begriffe nicht einfach nur missversteht, sondern selbst zu einer Erfolgsstrategie weiterentwickelt. (Dumouchel/ Dupuy 1999, S. 179ff.)

Referenzen

  • Bauer-Jelinek, Ch. (2003): Business-Krieger. Überleben in Zeiten der Globalisierung, München
  • Blankart, Ch. B. (1998): Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 3. Auflage, München
  • Dumouchel, P./ Dupuy, J.-P. (1999): Die Hölle der Dinge, Thaur
  • Galtung, J. (2000): Die Zukunft der Menschenrechte. Vision: Verständigung zwischen den Kulturen, Frankfurt et al.
  • Gronemeyer, M. (2002): Die Macht der Bedürfnisse?, Aufgenommen am 14.06.2002 beim Symposium „Handel(n) und Genuss“ im malko / Markt Allhau, in: sol – Menschen für Solidarität, Ökologie und Lebensstil, CD-Beilage (www.nachhaltig.at)
  • Hayek, F. A. von (1983): Die Verfassung der Freiheit, 2. Auflage, Tübingen
  • Ortmann, G. (2003): Regel und Ausnahme – Paradoxien sozialer Ordnung, Frankfurt a. M.
  • Scherrer, W. (1984): Den Frieden leben lernen. Der Sarvodaya-Weg Mahatma Gandhis. Ein Beitrag zur Friedensarbeit und Friedenserziehung, München/ Basel
  • Spencer-Brown, G. (1994): Laws of Form, limited edition, Ashland (Ohio)
  • Spencer-Brown, G. (1999): Gesetze der Form, 2. Auflage, Lübeck