(c) Karl Baumann 2014: Ball am Strand, Irland im April, Samsung NX20

Zum Glück, auch so kann die Ironie des Schicksals gesehen werden, hat die Weltwirtschaftskrise auch eine andere Krise hervorgerufen: die Krise des Rationalitätskonzepts, wie es vor allem ÖkonomInnen in den letzten Jahrzehnten vertreten haben und wie es größtenteils von den betriebswirtschaftlichen Disziplinen unreflektiert übernommen wurde.

In einer meiner letzten Seminare, die ich an der Universität im Bereich „Controlling“ bereits vor einigen Jahren – zugegeben auch schon etwas ent- und genervt von dem starren akademischen Betrieb und der modernen Lehre und Lehrinhalte – gehalten habe, stand wieder einmal „Rationalität“ zur Diskussion. Ich hatte zu diesen Zeitpunkt hunderte Lehrveranstaltungen an verschiedenen Universitäten in verschiedenen Bereichen der Betriebswirtschaft gehalten oder geleitet und hatte einige Distanz wieder zum Universitären Betrieb, als ich nicht mehr als Universitätsassistent arbeitete und ein Unternehmen aufbaute bzw. Organisationen dabei beraten durfte.

Rationalität war zu einer Art „Superstar“ in vielen Wissenschaften und auch in der Wirtschaft im 20. Jhd. geworden, vor allem ein „must have“ für ÖkonomInnen und BetriebswirtInnen. Richtige Entscheidungen werden durch Rationalität getroffen, erfolgreich zu wirtschaften heißt rational zu sein und die echte Wahrheit lässt sich durch Rationalität finden. Ich denke, den Begriff und das (moderne) Konzept der Rationalität, das damit verbunden ist, als eine Art „Superstar“ hinzustellen, ist fast noch „untertrieben“.

Nun haben ÖkonomInnen und WirtschafterInnen das Konzept über die letzten Jahre erforscht, gelehrt und verbreitet und doch – völlig „unmöglich“ – bricht plötzlich die Weltwirtschaft zusammen. Schon komisch. Doch das ist etwas, dass ich vor einigen Jahren, bei einer meiner letzten Seminare an der Universität alles noch nicht wissen konnte. Ich spürte jedoch zu diesem Zeitpunkt schon, dass etwas mit dem Konzept „Rationalität“ ganz und gar problematisch, nicht stimmig ist, so überkam mich ein Gefühl nach einem durchaus reflektierten und detailliert recherchierten Vortrag meiner noch studierenden KollegInnen und endlich hatte ich begriffen, was das eigentliche „Problem“ von „Rationalität“ ist, dachte kurz nach, setzte mich dann auf den Tisch vor meinen StudentInnen und sagte plötzlich ganz spontan und teilweise auch für mich überraschend1Moderne Rationalität hat eine Nähe zu Schizophrenie.: „(…) Rationalität macht einfach nur euer Leben2Liebe, Freude, Angst, Einsamkeit, Leidenschaft, Frustration, Schmerz, Trauer, Glück, Zärtlichkeit, Nähe, Zuneigung, Begehren, usw. kaputt!“

Rationalität ist ein Konzept, dass von „Gefühlskrüppeln“ entwickelt wurde und bis heute vertreten wird. ProfessorInnen, WissenschafterInnen, KünstlerInnen, ManagerInnen, die sich nicht mehr auf die Zuneigung Ihrer Mitmenschen einlassen (können), die keine Liebe geben oder empfangen (können), die zwangsoptimiert durch das Leben zu gehen versuchen und sich die ganze Zeit selber vormachen, wie gut es Ihnen dabei geht, weil sie etwas „optimal“ gemacht haben. Rationalität ist ein Konzept, das von Menschen entwickelt wurde und bis heute vertreten wird, die keine soziale Wärme mehr (ver)spüren (können), es sind größtenteils Menschen, die eigentlich sozial-psychologische Therapie notwendig haben.

Ein Leben ohne Gefühl, Emotion und Leidenschaft ist ein wertloses Leben – ganz einfach und gerade ein Streben nach Wahrheit – ein ohnehin paradoxes Unternehmen3Paradox insofern, als in den aller meisten Fällen, wo neue „Wahrheiten“ gefunden werden, alte „Wahrheiten“ auch zerstört werden. – bedingt oder beruht auf Gefühl, Emotion und Leidenschaft.

Erfolgreiche (und sehr wahrscheinlich auch mit sich zufriedene) WissenschafterInnen als auch UnternehmerInnen hat immer schon ihr Gefühl, ihre Emotion und ihre Leidenschaft für ihr Tun ausgezeichnet. Erst als diese sonderbare Figur der/des ManagerIn erfunden wurden, war dies plötzlich nicht mehr so. Denn (zumindest) die/der ManagerIn musste rational sein, rationale und deshalb richtige Entscheidungen treffen, usw. – (zumindest) bis zum Anfang des 21. Jhd4Ich freue mich, dass dies (Rationalität), bis auf einige wenige „hardlinerInnen“, die nicht von ihren Theorien ablassen können, nunmehr vorbei ist und somit auch für ManagerInnen zukünftig wieder sozial-psychologisch gesunde Rahmenbedingungen möglich(er) und wahrscheinlich(er) werden..

Dabei leuchtet es sehr wahrscheinlich schon einem durchschnittlich intelligenten Kind ein, dass perfekte Information (also alles über etwas Wissen) – Grundvoraussetzung so genannter rationaler Entscheidungen – absurd ist.

Postmoderne und sozialer Konstruktivismus haben sich am Ende des 20. Jahrhunderts damit geplagt, dieses moderne Rationalitätsverständnis zu kritisieren, zu entschleiern, zu entkräften und sind vielerorts in einen ähnlichen Wahnsinn verfallen, als plötzlich das „Verhandeln“ von Positionen, Standpunkten, etc. zum „must have“ oder zum Dogma geworden sind. Auch das „Du kannst nicht alles sehen, hören, wissen“ kann zum Zwang werden.

Und dabei könnte es dem Grunde nach sehr einfach sein. Das sehr wahrscheinlich Wichtigste dafür, dass es (das Leben) sehr einfach ist, ist eine gesunde Portion Selbstvertrauen und die soziale Stabilität für eine gewisse Form von Selbstironie.

Worauf soll sich denn ein Mensch noch freuen können, wenn sie/er bei jeder Entscheidung (sei es für ein Restaurant, ein Essen, ein Kleidungsstück, ein Hotel, ein Auto, ein Flugticket, eine Reise, einen Spaziergang, einen Laptop, einE neue MitarbeiterIn, ein neues Projekt, usw.) optimal weil (modern) rational vorgehen muss. Da wird der Entscheidungsprozess schon zu einem Zwang ohne Freude und beim optimierten Essen, beim optimierten Tragen, beim optimierten Wohnen, beim optimierten Reisen, usw. vergeht ihr/ihm auch bald jegliche Freude, da sich ja schon bald die Fragen aufdrängen, ob denn nicht das Restaurant nebenbei, das andere Essen, das grüne Kleid, das größere Auto, eine andere Fluggesellschaft, ein anderes Reiseziel, kein Spaziergang, etc. doch das „Optimalere“ gewesen wäre.

Warum nicht einfach danach entscheiden, was für sie/ihn Sinn macht? Das würde die Diskussion um „richtige“, „optimale“, „rationale“ Entscheidungen wieder auf das ursprüngliche Problem, das Bildungsproblem rückführen. Denn was für einen Mensch Sinn macht, „entscheidet“ sich ganz wesentlich durch ihre/seine Bildung, also all das, was ein Mensch so im Verlaufe ihres/seines Lebens lernt (und auch verlernt), erfahren (und auch wieder vergessen) und letztlich verstanden hat.