(c) Karl Baumann 2012: Organen unausgepresst

Die theoretische Auseinandersetzung rund um Soziale Verantwortung in Unternehmen ist geprägt durch folgende Frage- und Problemstellungen:

  • Aus dem Blickwinkel des strategischen Managements ergibt sich zunehmend die Forderung nach der Verbindung oder Rückführung der Strategiekonzeption einer Organisation (somit auch – profitorientierte – Unternehmen) auf die Frage der Ausgestaltung der realen Organisation. Als solches wird die Strategietheorie immer stärker durch die Organisationstheorie geprägt und mit ihr verwoben (vgl. Hinterhuber et al., 2000; Ortmann 2003; Baumann 2005). Durch diesen Drift in der Forschung kommt die Fragen nach Regeln der sozialen Verantwortung (wieder) stärker ins Blickfeld der Strategietheorie.
  • Die Forschung in und um das Strategische Management war und ist in den letzten Jahren auch geprägt von der Idee der Nachhaltigkeit – ökonomische, soziale und ökologische Faktoren der Betriebsführung werden dabei zumeinst anhand von Kriteriensets gemessen, evaluiert und somit gemanaged. In letzter Zeit steht vor allem die Perspektive der sozialen Verantwortung starker im Mittelpunkt von Forschungsbestrebungen. Dabei ist diese Diskussion methodisch insofern zu überdenken, als ein logisch-analytischer Zugang zumeist gewählt wird. Somit beschränken sich die Ausarbeitungen auf Modellvorschläge für die richtige Kriterienauswahl und –bewertung. Dabei bleibt ausgeblendet, ob sich soziale Verantwortung an sich bzw. dessen Wirkungen in quantitativen Verfahren brauchbar abbilden lassen. Aus heutiger Sicht muss dies eher bezweifelt werden.
  • An die Diskussion im strategischen Management und somit der Führung von Organisationen schließt sich die Frage nach einer “guten” Corporate Governance an. Dies bedeutet eine Ausdehnung auf eine verstärkt stakeholderorientierte Sicht und daraus ergibt sich wiederum die Frage, in welcher Form sich CSR-Regeln innerhalb der Corporate Governance Regelungen einbinden lassen. Bei empirischen Untersuchungen zu der Frage nach dem Grad der Verpflichtung von Regelungen (Vorschriften durch den Gesetzgeber) innerhalb der Corporate Governance Regeln für den Bereich der CSR zeigen sich große (v.a. länderspezifische) Unterschiede. Während z.B. in Österreich & Deutschland eine verpflichtende Regelung eher abgelehnt wird, befürworten vor allem skandinavische Staaten rigide gesetzliche Regelungen.
  • Die Versuche einer normativen Definition des sozialen Phänomens Verantwortlichkeit (Philanthropie, Altruismus) im weiterem Sinne und CSR im engerem Sinne führte dazu, dass sich neue Konzepte entwickelten: Corporate Social Performance (CSP), business ethics and stakeholder theory (bestimmt die Zielforschung im strategischen Management heute). Allerdings steht die Forschung dem trade off zwischen den Kriterien “Lokales Wissen”, “Verantwortungsniveau” und “Einvernehmlichkeit” zwischen den Stakeholdern bzw. dem Verhältnis zu finanziellen Erfolg in der Bewertung von Sozialprojekten im unternehmerischen Umfeld bisweilen noch ohne Lösungsansatz gegenüber (vgl. Pave/ Krausz 1997, S. 337).
  • Die Group of Lisbon (1995) kam auf Basis von Szenario-Planungs-Überlegungen zu dem Schluss, dass eine Art “Global Governance” mittelfristig notwendig sein wird, um die ihrer Sicht notwendigen Beschränkungen von Wettbewerb zu erreichen. Aus dieser Perspektive stellt sich somit die Frage, auf Basis welcher “Social Contracts” ein Global Governance Code möglich ist.
  • Die Logik eines Ursache-Wirkungs-Denkens in der Beweisführung von Sozialen Verantwortungen bleibt zumeist wirkungslos, als die logisch-positivistischen Zusammenhänge im Kontext sozial-enthnologischer und somit ökonomischer Aufklärung stecken bleibt. Als solches sieht sich auch hier das Konzept der “Corporate Citizenship” als Alternative, als bewusst auf das Potential systemischer Zugänge in dieser Frage hingewiesen wird und darauf aufbauend ein Konzeptvorschlag ausgearbeitet wird (vgl. Birch 2001). Dabei ergeben sich bei Weiterführung des Gedankens und Studie der systemtheoretischen Theorie die Schwierigkeit, dass die neuere Systemtheorie, die sich besonders brauchbar in ihrem Erklärungsgehalt sozialer Strukturen und Prozesse gezeigt hat, in der Frage der Verantwortung innerhalb von Sozialsystemen ohne Antwort bleibt. Diese Frage geht in der Metapher der Autopoiesis auf, was Niklas Luhmann auch scharfe Kritik von Humberto Maturana einbringt, als er darauf hinweist, dass Autopoiesis von Maturana im Kontext von biologischen Beobachtungen erfunden wurde und im sozialen Kontext die Sachverhalte eher verschleiert, denn sichtbar macht und somit wenn überhaupt nur beschränkt einsetzbar ist.
  • Die Theorie der mimetischen Kräfte, wie sie von René Girard geprägt wurde, findet kaum bis keinen Eingang in die theoretischen Überlegungen und Diskussionen zu Sozialer Verantwortung, CSR oder auch Global Governance Codes. Statt dessen finden sozial reduktive Konzepte, wie sie aus der tradierten Volkswirtschafts- bzw. Betriebswirtschaftslehre der 1990iger Jahre bekannt waren – Rationalität, Effizienz & Nützlichkeit – Eingang in die Theorien. Dadurch wirken die Theorien zu einem gewissen Grad “sozialromantisch” oder “realitätsfremd”. Eine differenzierte und aktionsorientere antropologische Analyse fehlt dadurch nahezu vollständige.

Die tatsächlichen Ereignisse, die kaum denkbar weiter von dem entfernt sein könnten, was sich die ErfinderInnen und TheoretikerInnen des CSR-Konzepts vorgestellt haben, beweisen, dass die Forschungs- und idF Gesetzgebungsbestrebungen rund um soziale Verantwortung, besonders innerhalb kapitalistischer Wirtschaftssystem, noch wenig bis keine Fortschritte gemacht haben.

Solange diese Diskussion aus einem “Management”-Umfeld geführt wird, das bekanntlich industrieökonomisch bzw. von den Industrieunternehmen, Industrieverbänden und der Welthandelsorganisation (WTO) diktiert wird, werden Niveau und Erfolgsaussichten mäßig bleiben. Aus der vergleichbaren Entwicklung der “Human Rights” und der damit verbunden “Human Rights Declaration” der Vereinten Nationen (UNO) lässt sich deutlich feststellen, dass die theoretische Grundlagenforschung und die darauf aufbauende, breite Festlegung von Verhaltenscodes und dessen Exekution ohne notwendiger Unterstützung durch kompetente Interessensverbände zu keinem Durchbruch kommen kann. Letztlich verhalten sich die verantwortlichen Personen innerhalb der Universitäten und Verbände auch “nur” nach eben den mimetischen Kräften, die sie erforschen und denen auch sie letztlich nicht widerstehen können.

Bibliographie

• Baumann, K. (2005): Organisation der Strategie. Konstruktionen und Dekonstruktionen, Heidelberg
• Birch, D. (2001): Corporate Citizenship: rethinking business beyond corporate social responsibility, in: Andriof, J./ McIntosh, M.: Perspectives on Corporate Citizenship, Sheffield, S. 53-65
• Carroll, A. B. (1999): Corporate Social Responsibility, in: Business & Society, Vol. 38 No. 3, S. 268-295
• Hinterhuber, H. H./ Friedrich. S. A./ Al-Ani, A./ Handlbauer, G. (Hrsg.) (1996): Das Neue Strategische Management, Wiesbaden
• Ortmann, G. (2003): Organisation und Welterschließung. Dekonstruktionen, Wiesbaden
• Pave, M. L./ Krausz, J. (1997): Criteria for Evaluating the Legitimacy of Corporate Social Responsibility, in: Journal of Business Ethics, 16, S. 337-347
• The Group of Lisbon (1995): Limits to Competition, Cambridge et al.