Doch so durch- und überaus „ehrenwert“ ist es, das Konzept von Respekt und doch, es passt nicht zur „selbstlosen“, weil bedingungslosen Liebe.

Die Antwort ist schnell gegeben: Das eine – Respekt – ist ein lineares Konzept, das andere – „bedingungslose Liebe“ – eines, das auf Zweisamkeit, Kommunikation, Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit aufbaut, ein Kreislauf, eine Wechselwirkung im Gleichgewicht.

Überspitzt dargestellt sind es in der Regel schwache „Autoritäten“, die Respekt vor sich und für sich einfordern (Eltern, Lehrer, Führungskräfte). Dabei ergibt sich der Anspruch und die Notwendigkeit für und nach Respekt aus einer asymmetrischen Machtsituation, die aus Sicht der Person, die Respekt einfordert, vielleicht sogar in Gefahr oder in Zweifel gezogen wird. So sind z.B. LehrerInnen, die sich über Disziplin Respekt bei Ihren SchülerInnen verschaffen wollen und müssen, zumeist selbst nicht in der Lage, durch Ihr Auftreten und ihre Persönlichkeit den notwendigen Respekt zu „bekommen“.

„Ich respektiere Dich“ bedingt und bedeutet keinesfalls, dass dies auch umgekehrt der Fall ist und somit kann, vielleicht muss es zu einem Machtgefälle kommen. Der/Die eine, der respektiert und der/die eine, die respektiert wird.

Die Schüler, Mitarbeiter, Kinder respektieren die „Vorgesetzten“ in der Regel aus zwei möglichen Gründen – sie haben Angst und/oder wollen oder brauchen etwas. Beides bringt die Abhängigkeit. Eine symmetrische Veranstaltung (z.B. eine Vorlesung an einer freien und offenen Universität) bedingt ganz wesentlich, dass die TeilnehmerInnen (z.B. StudentInnen) jederzeit auch gehen können. Das Interesse „entsteht“ und bedingt keinen Respekt. Es ist eine Folge und keine Voraussetzung.

Alfred Adler spricht davon, dass nur Ermutigung den pädagogischen Prozess in einer Gleichstellung ermöglichen. Lob ergibt zwingend ein Machtgefälle zwischen der Person, die lobt und der, die gelobt wird. So ist es auch mit Respekt oder dem paradoxen Konzept von „konstruktiver“ Kritik. Erst wenn unklar bleibt, wer Recht haben könnte, löst sich das Machtgefüge auf.

Anders ist es bei Situationen, wo per se ein Machtgefälle vorhanden ist. Respektiere die Natur und die Tiere, denn sie sind (zumindest vordergründig) schwächer als wir. Das macht zweifellos Sinn.

Die Liebe und vor allem die „bedingungslose Liebe“ bedingt keinen Respekt, selbst wenn dieser auf Gegenseitigkeit beruhen würde, was die edelste Form von Respekt wohl wäre.

Die „bedingungslose Liebe“ entsteht aus einem tiefgehenden Gefühl der Zuneigung und des Vertrauens gegenüber der anderen Person und beruht auf einer Hoffnung, ja Sehnsucht ohne Erwartung. Dieses Vertrauen erwächst aus einer kompromisslos offenen Kommunikation von Wünschen und Bedürfnissen, die darauf vertrauen kann, dass die andere Person diese Wünsche und Bedürfnisse ernst nimmt und ihr Wertschätzung entgegenbringt.

Das bedeutet nicht zwingend den Respekt, sprich die lineare Akzeptanz, denn auch die Ablehnung muss Teil der Möglichkeit bleiben. Die bedingungslose Liebe impliziert ein offenes Ende von Beziehung, ist vielleicht sogar eine Art Gegenteil davon.

Die Trennung ist jederzeit eine Möglichkeit, die nichts an der bedingungslosen Liebe ändern würde. Es ist wie bei der Vorlesung, es steht jedem Partner frei, zu gehen, jederzeit. Die Tür ist offen zu gehen oder auch zu kommen. Das Gefühl der Zuneigung, das Gefühl der Liebe zu einer Person entscheiden über das kommen und gehen. Geborgenheit ergibt sich nicht aus Respekt, nein, Geborgenheit ergibt sich aus Einfühlsamkeit und Empathie, aus Zärtlichkeit und Erotik und vor allem aus Vertrauen auf und Verantwortung für die „bedingungslose Liebe“ zu der anderen Person.

Attraktiv und anziehend ist hier ebenso wesentlich, wie Offenheit und Ehrlichkeit. Das Denkbare ist all zu oft die Grenze des Möglichen, so ist die Kommunikation die Öffnung hin zum bisher Unvorstellbaren. Nicht die Sprache ist die Grenze der Welt, auch Wittgenstein hatte das später anderes gedacht, die Möglichkeit des Denkens und der Phantasie sind es vor Allem und vorallem. Die Sprache ist nur eine Form der Kommunikation, die Liebe kennt dabei noch viele andere. Erotik und Sexualität, das Gefühl von Zweisamkeit und Verschmelzung während eines Orgasmus, vielleicht sogar gleichzeitig, sind ebenso Ausdrucksformen, wie ein Streicheln, eine Berührung oder auch einfach nur ein zufälliger Blick in die Augen.

All das hat nichts mit Respekt zu tun. Es hat mit Kommunikation und Einfühlsamkeit zu tun und auch mit einer nur so schwer beschreibbaren Harmonie, eine Form von Tanz, ein Rhythmus, vielleicht eine Melodie, die wie ein Wunder zusammenpassen. Es ist nicht er-klärbar, schon gar nicht rational, es ist einzig er- und ver-spürbar. Ich wünsche es jeder und jedem, es zumindest einmal im Leben zu er- und ver-spüren. Wahrhaft gelebt hat nur die und der, die/der Teil einer solchen bedingungslosen Liebe wurde.

Durch nichts käuflich, durch nichts ersetzbar.

So wird die „bedingungslose Liebe“ zu einem Gefühl vollkommener Freiheit durch eine nur so schwer in Worte zu fassende Form der Verbundenheit, Geborgenheit, Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit. Dichter, Maler, Komponisten haben sich daran abgearbeitet, Romeo und Julia unvergessen. Welch wunderschöne Paradoxie.

Respekt ergibt sich wie der Preis einer Ware. Es ist eine sehr alte Erkenntnis, besonders in der Kunst feststellbar, doch auch im „einfachen“ Einzelhandel zu erkennen: „Was nichts kostet, ist auch nichts Wert.“

Wer versteht schon die Qualität von Francis Bacen´s Malerei, doch steht ein Preisschild daneben, so wir es klarer, interessant, quantifiziert verständlich. 3 ist mehr als 2, so einfach.

So gestaltet eine bedeutende Kunsthistorikerin Ihre Ausstellungsführungen, so hat sie mir erzählt, in der Regel wie folgt: „Zunächst schauen wir uns in einer Ausstellung die 3 teuersten Kunstwerke an und anschließend konzentrieren wir uns auf die Kunst.“

Im Kontext von Kommerzialisierung von Liebe kann „die 3 teuersten Kunstwerke“ ausgetauscht werden mit „die 3 teuersten Frauen/Männer“. Sie sind aus welchem Grund auch immer „teuer“, vielleicht weil attraktiv und schwer zu haben.

Die „bedingungslose Liebe“ ist dabei das billigste, kostenlose Kunstwerk in der Sammlung. Sie kostet nichts, denn sie ist nicht an eine Bedingung, einen Preis geknüpft und hat somit auch für alle, die intellektuell nicht bereit dafür sind, keinen Wert. Die Frau/der Mann, die/der bedingungslose Liebe gibt, ist in deren Augen wertlos.

Das „Gegenkonzept“ wäre nunmehr, sich Respekt zu verschaffen – quasi einen Preis einzufordern, das Machtspiel ist eröffnet und die bedingungslose Liebe gestorben.

Beziehung und Respekt passen zusammen, bedingungslose Liebe und Respekt keinesfalls.

Bedingungslose Liebe kommt mit Verantwortung und Vertrauen und ist deutlich „reifer“ und „anspruchsvoller“ in der Kommunikation. „Ich brauche Dich, weil ich Dich liebe“, schreibt Erich Fromm über die reife Liebe. Es ist ein Eingeständnis von Schwäche, ein Eingeständnis von Wertlosigkeit und doch könnte es nicht selbstbewusster sein.

Liebe ist reden, reden, reden, bedingungslose Liebe ist reden, fühlen, spüren und zulassen. Die Schwäche zeigen der Schlüssel. Eine hohe Kunst, der das Aussterben droht.

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Wut und bedingungslose Liebe passen nicht zusammen