(c) Karl Baumann 2016: Frau von Gérard Fromanger, Centre Pompidou, Paris im April

Laut verschiedenen Studien, unter anderem von der WHO, ist Depressionen und die damit verbundenen Folgen (Angstzustände, etc.) weltweit die Volkskrankheit Nummer eins. Besonders davon betroffen sind die westlichen, industrialisierten Staaten (hier sind über 10% der Menschen mehr oder weniger von Depression betroffen), kaum davon betroffen – und das ist besonders bemerkenswert – sind Natur-Völker.

Nach Angaben der World Health Organisation sind momentan über 120 Mio. Menschen weltweit von pathologischen Depressionen betroffen, deren fatalste Folge der Selbstmord ist. Somit fordert die Volkskrankheit Depression jährlich über 850.000 Menschenleben weltweit.

In den mitteleuropäischen Staaten ist die Situation derartig dramatisch, dass wesentlich mehr Menschen durch Selbstmord sterben1Allein in Deutschland sind es jährlich über 10.000 Menschen, die durch Suizid sterben., sehr wahrscheinlich als Folge von Depression, als im Autoverkehr.

Die WHO geht davon aus, dass sich die Situation bis 2020 weiter dramatisch verschlechtern wird, als Depression zur zweit wichtigsten Ursache für weltweite Einschränkungen in der Lebenserwartung werden wird2Depression is the leading cause of disability as measured by YLDs and the 4th leading contributor to the global burden of disease in 2000. By the year 2020, depression is projected to reach 2nd place of the ranking of DALYs (Disability Adjusted Life Years – The sum of years of potential life lost due to premature mortality and the years of productive life lost due to disability.) calcuated for all ages, both sexes. Today, depression is already the 2nd cause of DALYs in the age category 15-44 years for both sexes combined.
(Quelle: World Health Organisation – WHO)
.

Trotz dieser dramatischen Tatsachen fällt bei weiterer Studie der Situation zur Frage der Depression vor allem auf, dass es wenig Brauchbares zur Frage der Ursachen für Depression und ebenso wenig Brauchbares zur Frage der Therapie von Depressionen gibt.

In der Frage der Ursachen, wie auch in der Frage eines wirkungsvollen Vorgehens gegen Depression scheiden sich die „ExpertInnen“ insofern, als

  1. die einen die Ursachen einzig in physischen Störungen (z.B. Stoffwechsel-Störung) suchen und dem entsprechend vorgeben, die Ursachen der Krankheit mit Medikamenten oder sonstigen (sehr wahrscheinlich überteuerten) Rehabilitationsmethoden (z.B. Biofeedbacktraining) behandeln zu können3There are well-established treatments available to alleviate symptoms effectively. Such treatments are drugs (antidepressant medication), non-pharmacological interventions like psychotherapy, or a combination of drugs and psychotherapy. In some cases, other treatments, such as electroconvulsive therapy, are also useful. At many places, locally available indigenous treatments like herbal medications are also used with varying degrees of success. Yoga, meditation, and naturopathy may also advised as supportive measures.
    (Quelle: World Health Organisation – WHO)
    und
  2. die anderen die Ursachen im sozialen Umfeld, der sozialen Struktur, dem Stressniveau, der Arbeitsbelastung, der jeweiligen Einstellung zum Leben oder der natürlichen Umgebung einer Person suchen und mittels Psychotherapie, Stresstherapie, (Karriere-)Coaching, Familienaufstellungen, usw. behandeln.

Depression zeigt sich in Un-Lust, Gleichgültigkeit, Verlust von Selbstwert, Unzufriedenheit mit sich selbst, Antriebslosigkeit, Angstzuständen bis hin zu Lebensmüdigkeit.

Die WHO problematisiert in diesem Zusammenhang zwar durchaus, dass Depression nur sehr selten auch als Krankheit erkannt und behandelt wird. Viel wahrscheinlicher ist, dass Probleme mit der Lust totgeschwiegen werden, gesellschaftlich nicht erlaubt sind oder kategorisch ausgeschlossen werden. Die WHO ruft insofern die Regierungen der Staaten dazu auf, die Problematiken rund um Depression zu enttabuisieren und eine Breite Aufklärung darüber zu starten.

Ob dieses Vorgehen der WHO jedoch tatsächlich das Problem “Depression” an der Wurzel anpackt, bleibt äußerst fraglich, denn gerade der Sachverhalt, dass Depression gesellschaftlich tabuisiert wird, scheint ZUGLEICH Ursache und Wirkung zu sein.

Die gesellschaftliche Norm, vor allem in den Leistungsgesellschaften sieht vor, dass jede und jeder von uns immer „gut drauf ist“. Um diesen allgemein besonders positiv rezipierten Zustand über lange Zeitstrecken und unter besonderer Belastung zu halten, sehen sich sehr viele Menschen dazu gezwungen, das “gut drauf sein” künstlich zu Unterstützung, als sie Medikamente bis hin zu Drogen (Kokain, Haschisch oder Gras) konsumieren. Jeder weiß, dass die so genannte (High-)Society von „gut darauf“-Medikamenten und Drogen überschwemmt ist. Die Exzesse rund um Top-Models oder Pop-Stars stellen dabei gewiss nur die Spitze des Eisberges dar.
Auch in Unternehmen, besonders in High-Performance-Organisationen (wie z.B. Top-Management-Beratungen) wird zu solcher Unterstützung gegriffen, denn nur wer immer „gut drauf“ ist, ist auch „hip“ und macht Karriere.

Würde es somit einmal jemanden in einer solchen Gesellschaft schlechter gehen, sich jemand ausgezehrt fühlen oder erschöpft von der ständigen Selbstdarstellung sein, so kann diese oder dieser gewiss nicht zu den “eigenen Leuten” gehen, denn das würde das Bild der „immer gut drauf“-Typin oder des „immer gut drauf“-Typen massive gefährden und somit der Karriere schaden.

Wir will schon mit einer LangeweilerIn zusammenarbeiten, ist hinlänglich das Klischee.

Ein Teufelskreis, dem auch die WHO nicht entkommen kann, weil auch sie letztlich eine High-Performance-Organisation sein will und somit nicht öffentlich und breit sagen kann, was längst medizinisch weltweit notwendig wäre:

Gebt uns wieder ausreichend Zeit, unsere Gefühlszustände auszuleben.
Gebt erschöpften Egos wieder Zeit, lustlos zu sein, wenn es danach gelüstet.

Die Folge wäre mehr echte und tatsächliche Lust und weniger Schauspielerei und ausgebrannte 30iger und 40iger. Es gebe mehr Menschen, die sich gehaltvoll amüsieren können, mehr Menschen, die ihr Leben genussvoll bestreiten und das angespannte Sozialsystem würde dramatisch entlastet.

Es könnte ganz einfach sein, wenn die Verantwortlichen selbst zugeben würden, dass auch sie da und dort einmal „schlecht drauf sind“!

Doch das würde Wählerstimmen, Stakeholder-Sympathien und/oder Karrieremöglichkeiten kosten. Deshalb wird es in absehbarer Zeit nicht dazu kommen.

Wer depressiv ist, gilt nicht als krank oder als von den Mitmenschen missverständlich behandelt, sonder sie/er gilt als faul, unlustig, asozial, zu aufwendig, um sich mit der Person zu beschäftigen, denn sie/er würde echte Zuneigung und Verständnis benötigen. Die bequeme Projektion der eigenen Lebensluststrategien in die jeweilige Person hinein hilft sehr wahrscheinlich nicht.

Eine dauerhafte und intensive Auseinandersetzung zumindest mit den Fähigkeiten, den Wünschen, den Erfahrungen und den Schwächen und Ängsten der jeweiligen Person wären notwendig und dann auch noch die Macht, zumindest teilweise dabei unterstützen zu können, die Wünsche der Person tatsächlich zu realisieren. Etwas, was sehr stark an Tugenden von UnternehmerInnen erinnert.

Tatsache ist, dass die Verantwortlichen der Leistungsgesellschaft (UnternehmerInnen, Banken, Versicherungen, etc.) all zu oft vielfältige und mehr oder weniger raffinierte Taktiken seit Menschengedenken entwickelt haben, um Mit-Menschen auszubeuten (Begriffe wie Personal, Belegschaft, Arbeitskraft, Human Ressource, etc. weisen darauf hin).

Die Folgekosten (Kollateralschäden) dieser Ausbeutung trägt jedoch die Allgemeinheit, als diese durch das Sozial- und Gesundheitssystem bezahlt werden.

Es ist zumindest fraglich, ob hierbei Gerechtigkeit herrscht, wenn die Allgemeinheit die Kosten der Leistungsgesellschaft bezahlen muss, die Gewinner derselbe jedoch weitestgehend nur die Minorität der Kapital-EigentümerInnen ist.

Es wäre wohl längst an der Zeit, dass die UnternehmerInnen, Banken, Versicherungen, etc. in Methoden des so genannten Soft-Human-Ressourcen-Management (Soft-HRM: Coaching, Mentoring, Bildung und Ausbildung der MitarbeiterInnen, etc.) genauso ernsthaft investieren, wie in die Ausbeutungsmechanismen (leistungsbasierte Bezahlung, Up-or-Out-Prinzip, Arbeitsprozessoptimierung, Cost-Cutting, Effizienz-Managment, etc.).

Denn was jede und jeder von uns benötigt, um Lust auf das Leben zu haben, ist eine echte Perspektive im Leben!