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Wer sich wundert, warum aktuell die westlichen Demokratien unter Druck sind, der sollte einen wesentlichen – gewiss nicht den einzigen – Zusammenhang nicht außer acht lassen:

(1) Wirtschaft, Wirtschaftswachstum und unternehmerischer Erfolg beruht auf der zunächst einfachen Maxime, dass von einem Produkt möglichst viele zu einem möglichst guten Preis verkauft werden. Somit gibt es grundsätzlich zwei Stellschrauben, womit der Umsatz gesteigert werden kann: 1) Mehr zu verkaufen und/oder 2) teurer zu verkaufen. In der Regel ist 2 eher schwierig und somit bleibt 1. Um dies zu erreichen, muss ein Produkt (das inkludiert iwF auch Service) am s.g. „Markt“ erfolgreich sein. Um das wiederum sein zu können, könnte jemand naiver weise annehmen, dass das Produkt besonders gut sein muss. Doch das ist ganz klar ein Irrtum. Der löst sich dann auf, wenn der Begriff „Markt“ näher betrachtet wird. Wer ist der „Markt“? Es sind – jetzt etwas verkürzt – alle Menschen, die auf der Erde leben. Und somit ist auch klar, dass der „Markt“ genauso vielfältig ist, wie all die Menschen, die auf diesem Planeten leben, unterschiedlich sind. Somit ist auch klar, dass ein Produkt für den einen „das beste Produkt aller Zeiten“ ist und für den anderen „kompletter Schrott“. Im s.g. klassischen Marketing, dass sich ja von dem Begriff „Markt“ direkt ableitet, wird u.A. deshalb von den s.g. „Zielgruppen“ für ein bestimmtes Produkt gesprochen und der „zielgruppenspezifischen Ansprache“ des „Marktes“, also von uns.

2) Wer also viele Produkte verkaufen will ist gezwungen, sich auf diese Gruppe zu konzentrieren, die am größten ist. Nunmehr ist vieles im Leben „normalverteilt“ (vgl. Gauß’sche Normalverteilung) und somit muss die UnternehmerIn, der Konzern, etc., der möglichst viel verkaufen will, sich auf die Gruppe konzentrieren, die am größten ist: So hart das klingen mag, doch das sind die im Vergleich wenig gebildeten und wenig verdienenden. Diese Zielgruppe stellt die Masse der Menschen dar, die erreicht werden muss, will man ein Produkt in großen Mengen verkaufen. Reich und gebildet ist eben eine Ausnahmestellung, etwas elitäres, eine Minderheit.

3) Wonach richtet sich diese Gruppe der „wenig gebildeten und wenig verdienenden“ beim Konsum, also beim Kauf von Produkten? Eher nach der Qualität oder eher nach dem Preis (Stichwort: „Geiz ist geil“)? Die Frage ist aus meiner Sicht sehr eindeutig zu beantworten – nach dem Preis. Amazon, Primark, Microsoft sind nicht deshalb erfolgreich und ihre Gründer Milliardäre, weil sie der beste Online-Shop, die beste Kleidung oder die beste Software verkaufen. Sie sind in erster Linie billig und haben es geschafft, das im Grunde schlechte Produkte „geil“ für die entsprechende Zielgruppe „wenig gebildet und wenig verdienend“ zu vermarkten. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) wird von deutlich weniger LeserInnen konsumiert, als die Kronen Zeitung. Ist deshalb die Kronen-Zeitung das besser Produkt? Nein, es ist nur das vielleicht kommerziell erfolgreichere Produkt (ich lasse Fragen der Rentabilität außen vor). Viel zu verkaufen ist somit nicht gleichzusetzen mit „gut“ sonder eher mit „dumm“ und „billig“. Deshalb überschlagen sich auch die Anbieter in diesem Segment (z.B. Zalando in Deutschland) mit klar populistischen Werbeansprachen, die auf die primitivsten mimetischen Triebe der entsprechenden Menschen – Gier, Neid, Eifersucht – offen abzielen.

4) Diese Form der Kommerzialisierung bringt andere unter Druck. Warum? Weil die mimetischen Kräfte – Gruppendruck, Herdenverhalten – für uns einzelne nur schwer überwindbar sind und der Lärmpegel des „Marktgeschreies“ alle anderen, vielleicht differenzierten und – weil weniger Budget – leisen Botschaften über-dröhnt. Wer die Medien beherrscht, beherrscht auch den Konsum und somit den Markt. Der Mainstream wird überhäuft von „Geiz ist geil“ und „Schrei vor Glück“ Botschaften. In diesem Lärm von Populismus durch die Wirtschaft ist es nicht weiter einfach, gehört zu werden und zusätzlich ist es ohnehin so, dass die guten Produkte und deshalb in der Regel auch teuren Produkte nur von wenigen verstanden und konsumiert werden. Es ist ein Irrtum, dass die teuren Produkte deshalb teuer sind oder sein können, weil sich der Preis nach „Angebot und Nachfrage“ richtet. Nein, im Massenmarkt und zwingend lebensnotwendigen Produkten (Essen, Trinken, Kleidung, Gesundheit, Wohnen) mag das so sein, doch in den westlichen Industrienationen sind die überwiegende Mehrzahl der angeboten Produkte s.g. „Luxus“-Produkte, die für ein Überleben nicht notwendig sind. Somit bestimmt den Preis eines Produktes viele mehr, was es in der Herstellung kostet. Ein fair gehandeltes, ökologisch hergestelltes Produkt muss zunächst ganz einfach teurer sein, weil es auf Ausbeutung von Mensch und Natur verzichtet. Die Nachfrage wird nach einem solchen Produkt zumindest am Anfang des 21 Jhd. deutlich unter dem billigeren, herkömmlichen Produkt liegen. Das Produkt und somit die UnternehmerIn, die es herstellt und verkauft, kann nur deshalb überleben, weil es eine „Zielgruppe“ gibt, die „fair“ und/oder „ökologisch“ und/oder „nachhaltig“ versteht und deshalb auch kaufen will, obwohl oder trotzdem es teurer ist. Somit gibt es einen gewissen „Markt“, also Menschen wie Du und ich, die solche Produkte kaufen.

5) Je schlechter ein Produkt, umso besser muss das Marketing sein, um einen scheinbaren „Produktnutzen“ zu suggerieren. Die herkömmliche Automobilindustrie investiert Milliarden in Werbung, Tesla nahezu null. Das Produkt spricht für sich. Doch das funktioniert für Tesla nur deshalb, weil zuvor tausende von WissenschafterInnen und JournalistInnen zum Teil unter Einsatz ihres Lebens darüber berichtet haben, aufmerksam machen, was es mit dem s.g. „Klimawandel“ auf sich hat und es somit eine „Zielgruppe“, einen gewissen „Markt“ für 100% elektrische Autos gibt. Insofern macht Tesla kein direktes Marketing, es nutzt viel mehr eine Welle der Kommunikation und kann sich so gegen den populistisch aufgestellten, herkömmlichen Automobilmark, der keine ernstzunehmenden, inkrementellen Innovationen seit Jahrzehnten liefert, mehr und mehr durchsetzen.

6) Hätte es diese WissenschafterInnen und JournalistInnen nicht gegeben, so hätte Tesla keine Chance, auch wenn es das beste Produkt zum besten Preis anbieten würde, es würde ganz einfach nicht „auffallen“. Geld für aktives Marketing müsste investiert werden, um es bekannt zu machen. Geld, dass herkömmliche GründerInnen von neuen Unternehmen mit innovativen Produkten zumeist nicht oder nur sehr beschränkt haben.

7) Wird nun mehr und mehr auch der Bereich der Wissenschaft, der Presse, der Kunst und Kultur kommerzialisiert, so werden sich auch diese auf die Masse „wenig gebildet und wenig verdienend“ konzentrieren müssen, um überleben zu können. Es entsteht eine Art Selbstzerstörungsmechanismus von Kultiviertheit, ein selbstverstärkender Kreislauf aus Kommerzialisierung und „Tittytainment“ („Tits“& „Entertainment“), in dem differenzierte Stimmen ganz einfach untergehen und sich sehr schnell ein vermehrter „Mainstraim“ an (einer einfachen) Meinungen (= Populismus) durchsetzen kann. Diese ist willkommen für die UnternehmerInnen und Konzerne, die mehr von denselben, billigen Produkten verkaufen wollen. Meinungsvielfalt erschwert die „zielgruppenspezische Ansprache“ empfindlich. Da ist es deutlich einfacher und letztlich billiger, wenn alle gleich denken. Gut ist am Ende, wenn sich das Produkt schnell und oft verkauft, alles andere ist egal und die Mittel passen sich an diesem Zweck an. Das bringt Kommerzialisierung im Sinne der (kurzfristigen) Gewinnmaximierung ganz einfach mit sich.

8) Was will demokratischer Diskurs dagegen ausrichten? Ich fürchte wenig und doch hoffe ich, dass er sich durchsetzen kann gegen die zumeist leider (primitive) Kommerzialisierung und Popularisierung, die längst global organisiert ist. Klar ist auch, wie dieser Trend gestoppt werden kann: Die Zielgruppe der „wenig gebildeten und wenig verdienenden“ muss kleiner werden. Wie? Durch offene und differenzierte Bildung, Kunst & Kultur, freier Forschung und uneingeschränktem Journalismus als wesentliche Säule von Demokratie. Dann kann sich auch kein „Geiz ist Geil“ weiter in den Konzernzentralen ausbreiten und die UnternehmerInnen müssen sich wieder neu überlegen, wie sie die anspruchsvollen, vielfältigen und kritischen Menschen, den „Markt“, der sich auf schier unendlich viele „Zielgruppen“ aufteilt, erreichen kann. Einfache Antworten (= Populismus) werden dann nicht weiter funktionieren können, billige Massenprodukte nicht durchgängig durchsetzten können.