Mit diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Konzept “Führung” (Leadership) und dem Konzept der “Meisterschaft” (personnel mastery) zu argumentieren.

Was diesen Diskurs allerdings sehr schwierig bis nahezu unmöglich macht, ist die Einsicht, dass jene Organisationen, die für das Konzept der “Meisterschaft” besonders interessant sind, sich selber vor einer derartigen Betrachtung/Kritik verschließen:

  • Kultur-Organisationen gelten als Abweichung, Ausnahme der Regel(n). Dadurch eignen Sie sich (1) weder für Pauschalierungen (= Thesenbildung), noch (2) für eine plurale Auseinandersetzung.
  • Universität wollen als Sonderfall betrachtet werden. Das eine (1) nimmt den Empirikern jegliche Möglichkeit, sich (in-/deduktiv) auszulassen und das andere (2) produziert genau jenes Denken, das die Behandlung der Universität als „Elfenbeintrum“ rechtfertigt.

Die Kreativschaffenden selbst hingegen bringen zumeist Überlegungen zum Konzept der Meisterschaft großes Interesse entgegen.

Wesentlich für das Konzept der Meisterschaft hat sich (1) zum einen dessen Beachtung für das investitionsreiche – weil vorgelagerte – „Treiben“ oder „Hin-und-Her“ zwischen Sozialisation und Deviation herausgestellt. Für das eigentliche Verständnis für diesen Prozess ist (2) die Gleichzeitigkeit der Sozialisierung und dessen Gegenbewegung, der Deviation, zu sehen. Erst dadurch lässt sich ein annäherndes Verständnis für die Problematik in dieser Entwicklung beschreiben. Das Ego, die/der MeisterIn1Dabei ist wesentlich, dass eine persönliche Meisterschaft von jeder und jedem erreicht werden kann, als es von den individuellen Bedingungen abhängt, was letztlich als solches gilt und die Bewertung darüber, ob eine Meisterschaft erreicht wurde, einzig durch die MeisterIn selbst erklärt werden kann. Nur wenn eine solche Meisterschaft auch gesellschaftlich besonders rezipiert wird, kann es zu dem Phänomen der HeldIn oder Stars werden, was jedoch nichts mit der Qualität „an sich“ zu tun hat, sondern nur zeigt, dass auch der Aspekt einer breiten Popularität (Pop vs. Art) gegeben ist., steht in der Entwicklung von für sich zufrieden stellenden Fähigkeiten vor der Aufgabe, sich zu sozialisieren, um von anderen lernen zu können. Sofern jedoch der eigene Anspruch einer ist, das bereits „Dagewesene“ zu übertreffen, so wird Kritik gegenüber „den eigenen Leuten“ notwendig. Deviation setzt ein. Wann das eine (lernen und anpassen) oder das andere (kritisieren und abweichen) gerade passend ist, ist theoretisch sicher nicht zu klären.

Auffallend ist die zentrale Bedeutung des eigenen Anspruchs im Prozess der Meisterschaft, als der eigene Anspruch nahezu ausschließlich die Bewertungsreferenz (Qualität) definiert und damit die Moral des eigenen Tuns bestimmt.

Das erklärt auch, warum es nicht selten zu Aktionen kommt, die durchaus nicht mehr in den gesellschaftlich akzeptablen Rahmen (Sittenbild, Gesetze, etc.) passen und als kriminell betrachtet werden. Das ist eine notwendige Folge eines individuellen Anspruchs und der dafür notwendigen Deviation, Ausbruch aus den herrschenden (gesellschaftlichen, organisatorischen, familiären) Denkmustern (Kulturen). Ein solcher Ausbruch ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit inakzeptabel für diejenigen, von denen sich die MeisterIn distanziert und daher existenzbedrohend für diese.

Wenn also von dem Phänomen „Genie & Wahnsinn“ gesprochen wird, so ist entscheidend darauf hinzuweisen, dass beides Etiketten oder Bewertungen einer Person DURCH das gesellschaftliche Selbstverständnis sind. Sie drücken das Selbstverständnis derer aus, die beobachten. Nachdem diese Beobachtung aus den „gewöhnlichen“ Umständen heraus gemacht wird, erscheint diejenige Person, die für sich eine persönliche Meisterschaft erreichen will, als wahnsinnig. Sie muss quasi als solches erscheinen, weil die Erforschung von Neuartigem in den Vorstellungen der BeobachterInnen nicht vorkommen kann, also dafür auch kein Referenzsystem vorhanden ist. Sie können es nicht einordnen und nachdem es die sachliche Kategorie „Sonstiges“ in diesem Zusammenhang nicht geben kann, weil es sich um ein zwischenmenschliches Phänomen handelt, wird es als Wahnsinn bezeichnet und abgetan.

Mit der Selbstwahrnehmung der Person, deren Tun als wahnsinnig bezeichnet wird, hat die Bezeichnung insofern selten etwas zu tun, als die Person selbst nicht von sich annimmt, pathologisch erkrankt oder geistesgestört zu sein. Dies setzt voraus, dass ein gesundes Selbstwertgefühl und eine gewisse Wertschätzung im sozialen Umfeld vorhanden sind. Mit Selbstwertgefühl und soziale Wertschätzung sind gleichzeitig die wesentlichen „Strukturen“ für den Prozess der Meisterschaft genannt. Die Führungsaufgabe besteht darin, dafür Sorge zu tragen.

Sind diese wesentlichen Rahmenbedingungen nicht ausreichend hergestellt (das ist eindeutig eine Führungsaufgabe), so entsteht im Zuge der Meisterschaft Einsamkeit, ein Gefühl vollkommenen Unverständnisses und letztlich der Zusammenbruch des Egos.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Person anfängt, selber darüber nachzudenken, ob mit Ihr etwas nicht stimmt. Im besten Fall ist dieser Zustand noch therapeutisch (Coaching & Supervision reichen hier sehr wahrscheinlich noch aus) zu managen. Beim Fehlen jedweder Führungskompetenz ist Verzweiflung mit ihrer letzten Konsequenz Selbstmord2Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Schreiber Selbstmord als eine Katastrophe versteht, zu der es in keinem Fall kommen darf. die Folge im Prozess der persönlichen Meisterschaft. Die Tragödie liegt in der Paradoxie, als der Auslöser der eigene Anspruch ist, der Wille zur persönlichen Meisterschaft (Perfektion, etc.), der letztlich zum genauen Gegenteil führt: Vereinsamung und letztlich dem Tod durch Selbstmord.

Zu diesem Zeitpunkt fühlen sich sehr wahrscheinlich keine Personen mehr verantwortlich, weil der Reflex auf notwendige interne Kritik zur Erlangung der Meisterschaft als Abblocken, als Abbruch des internen Diskurses verstanden wird. Insofern ist eine Person im Prozess der Meisterschaft eben nicht zu führen und hört auch irgendwann damit auf, sich zu sozialisieren, als das Misstrauen gegenüber einer negativen Beeinflussung zu groß wird. Dadurch entsteht unausweichlich ein Defizit in der Kommunikation und im Verständnis der jeweiligen Personen. Selbst wenn die ohnehin schon enorm hohen Anforderungen an derartige Austauschprozesse ernst genommen und erkannt wurden, irgendwann kommt es zu fehlender Kommunikation, Unverständnis, Misstrauen, etc. und letztlich führt dieses Kommunikationsdefizit zu Verschwörungstheorien auf beiden Seiten, was wiederum Frustration, Verfolgungswahn oder Schizophrenie zur Folge haben kann.

„Spitzensport und Spitzenforschung haben durchaus Gemeinsamkeiten. In beiden Bereichen entstehen Höchstleistungen nur mit viel Anstrengung und einem gehörigen Maß an Motivation. Bei der FIT-IT Projektprämierung der besten eingereichten FIT-IT-Projekte des Jahres 2006 wird es daher eine Begegnung von Spitzensport und Spitzenforschung geben.“

Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Aussendung „Höchstleistung, bitte!“ vom Fr. 22.12.2006, 17.23h

Ein solcher Text, wie dieser des BMVIT beispielhaft dargestellt, geht am eigentlichen Problem vorbei.

Das Problem ist nicht die Motivation auf „ein gehöriges Maß“ zu steigern, sondern die Konsequenzen von bedingungslosem Einsatz, Wille zum Erfolg, Wille zur Verbesserung und Veränderung oder/und unbändiger Neugier zu managen und organisieren.

Dabei tut sich der Spitzensport wesentlich leichter, als es (mit wenigen Ausnahmen – z.B. Schach oder vielleicht noch Golf) zumeist um physische Aktivitäten geht, die „einsehbar“ sind und dessen „Risiko“ kalkulierbarer ist (z.B. wenn jemand auf die Idee kommt, mehr als 500 Meter beim Skispringen zu erreichen, so lassen sich relativ einfach bestimmte physikalische Wahrscheinlichkeiten und idF Notwendigkeiten ermitteln und darstellen – notwendige Absprunggeschwindigkeit, Druckbelastung, etc.).

Gewiss können in diesem Punkt Kunst- und Forschungsorganisation vom Spitzensport einiges lernen, als herausragende SportlerInnen auch besondere Betreuung (persönlicher Trainer, Coach, Physiotherapeut, Materialverantwortliche, etc.) bekommen und sich die SportlerIn auf die Ausübung ihrer Sportart ausschließlich konzentrieren kann. Die SportlerIn wird zur MeisterIn ihrer Disziplin. Davon ist der Kunst- und Forschungsbereich im Allgemeinen weit entfernt.

Was die Führungsaufgabe im Kunst- und Forschungsbereich wesentlich unterscheidet, ist die Offenheit des Prozesses. Eine SportlerIn agiert unter relativ gut strukturierten Bedingungen, als die Sportart (Disziplin) und dessen Erfolgskriterien „wohl definiert“ sind. Sie optimiert ihre Fähigkeiten unter diesen wohldefinierten und auch zumeist nicht weiter hinterfragten Rahmenbedingungen. Als solches sind Innovationen in diesem Bereich bestenfalls als inkrementell zu verstehen.

KünstlerInnen wie ForscherInnen, als sie mit dem Wunsch für Veränderungen agieren, arbeiten mit wenig greifbaren Materialien (Gedanken, Texte, Konzepte, Musik, Farbe, Form, Prozesse, Meinungen, Weltanschauungen, etc.) ohne zu wissen, wo es hinführt, da das Wissen von Morgen einzig das Ergebnis eines intellektuellen Prozesse darstellen kann, der im Jetzt abläuft und dieses Jetzt trägt die Kultur der Vergangenheit in sich.

Als solches bedarf die KünstlerIn als auch die ForscherIn einer (logisch) unmöglichen Unterstützung, denn was die KünstlerIn oder auch ForscherIn versucht zu tun und denken, ist neu UND neu.

Es ist für Sie neu und auch für alle daran beteiligten neu, also auch für die Führungskraft. Somit kann es niemanden geben, der den Prozess der Bewertung, Sinngebung, Einordnung etc. im Zuge der Meisterschaft unterstützen könnte. Die KünstlerIn oder auch ForscherIn ist im Prozess der Meisterschaft in letzter Konsequenz inhaltlich auf sich alleine gestellt.

Diese inhaltliche Alleinstellung kann und darf jedoch nicht bedeuten, dass die KünstlerIn oder ForscherIn auch ökonomisch und sozial allein gelassen wird!

Ob und wann sich das Phänomen des inhaltlichen Durchbruchs oder der Kristallisation bei der KünstlerIn oder ForscherIn er-eignet, insofern ein Verständnis für einen bestimmen Zusammenhang entwickelt wird, ist offen.

Sofern diese Offenheit einen bestimmten Wert darstellt, ist diese Offenheit zu managen, denn Sie ist von verschiedensten Seiten ständig bedroht.

Eigenzitat

Wesentlich ist letztlich noch die Unterscheidung zwischen Meisterschaft und Exzellenz herzustellen. Der Prozess der Meisterschaft beruht auf der Entwicklung einer meisterhaften Kompetenz, deren Qualität in vielen Fällen derartig diffizil ist, als sie nur mehr von der MeisterIn selbst bewertet werden kann. Sie kommt von innen, vom Herzen.

Ganz anders ist es bei dem Konzept der Exzellenz, als das Konzept der Exzellenz auf dem Konzept von Wettbewerb und Rivalität beruht. Es geht hierbei um das „Besser sein als…“. Insofern kommt es von außen, von einem gewissen Macht- und Gieranspruch, also von den mimentischen Kräften3 vgl. dazu die Schriften von René Girard.