(c) 2006 Karl Baumann: Stühle, Krems an der Donau

Sie ist die Grundvoraussetzung für gute und innige Beziehungen (vgl. z.B. Brené Brown). Sie ist die Grundvoraussetzung für ein gutes Leben. Sie ist vielleicht die Grund-Paradoxie des sozialen Lebens. Sie ist die Wurzel von Liebe und auch Gewalt gleichermaßen. Und ohne ihr gibt es keine Gesundheit, keine Glückseligkeit, keine Zufriedenheit und auch keine Freude.

Würden wir alle den Empfehlungen von Marshal B. Rosenberg folgen und von Kind weg die Grundkonzepte einer „liebevollen (gewaltfreien) Sprache“ befolgen, die Verletzlichkeit wäre weniger gefordert. Würden wir ehrlich & achtsam miteinander umgehen, die Verletzlichkeit wäre weniger gefordert. Würden die mimetischen Kräfte (Gier, Neid, Eifersucht, Eitelkeit) besser reflekiert werden, die Verletzlichkeit wäre weniger gefordert.

„Ich brauche Dich, weil ich Dich liebe.“

Erich Fromm

Liebe ohne Verletzlichkeit ist unmöglich, denn Liebe geht nur mit Gefühlen. „Starke Verletzlichkeit“ (strong vulnerability) ist es, was Alain de Botton empfiehlt. Es ist eine Art des Zugebens und des offenen (Ein-)Gestehens der eigenen Gefühle und gleichzeitig eine Stärke und ein Selbstbewusstsein für die eigene Autonomie. (Reife) Liebe ist bewusste Abhängigkeit und starke Autonomie zugleich. Deshalb schreibt Erich Fromm von „Ich brauche Dich, weil ich Dich liebe.“

Dies auszudrücken bedeutet, die eigene „Abhängigkeit“ und somit auch die eigene Verletzlichkeit auszudrücken. Dies zu tun erfordert größten Mut, denn ob die Liebe erwidert wird, bleibt offen. Dabei ist es einfach, „ich liebe Dich“ zu sagen, ohne es tatsächlich zu fühlen (auch „love bombing“ genannt und eine bewährte Methode, um Menschen zu betrügen). Doch vollkommen anders ist es, „ich liebe Dich“ zu sagen und es auch tatsächlich zu fühlen, tiefgehenden, wahrhaft und echt.

Mehr Verletzlichkeit geht nicht und ein besseres Glücksgefühl, so dieses Gefühl dann auch erwidert wird, geht nicht. Dabei ist die Liebe eine kleine Flamme, die dauerhaft brennt und was immer Du tust, Du tust es von Herzen. Die Zurückweisung (rejection) kann nicht passieren, denn die Tat an sich macht zufrieden, das „Geben“ allein macht glücklich, ohne zu wollen, denn ich habe es aus Liebe getan. Es ist keine Leistung, die eine Gegenleistung fordert. Es ist keine Investition, die einen Ertrag braucht. Der Akt an sich ist die Erfüllung.

Liebe kennt kein „Risiko“. Liebe kennt einzig den Weg. Liebe ist der Weg. Liebe ergibt den Weg. Ist er innig, dann ist es erfüllte Liebe. Ist sie unerwidert, dann ist der Weg die Heilung und die „wunderschöne“ Erfahrung, gefühlt und somit tatsächlich gelebt zu haben.

„Die Wut entsteht einzig in Dir.“

Marshall B. Rosenberg

Der Umgang mit Verletzlichkeit zeigt den wahren Charakter eines Menschen. Es kann im schlechten Fall zu einem Weltkrieg führen, weil die Verletzlichkeit unreflektiert in Wut und Rache mündet. Zurückweisung kann große Frustration auslösen oder einen Lernprozess. Als Mensch zu wachsen, kann einzig über Verletzlichkeit gehen.

Verletzt zu werden ist die Chance, das Leben zu gewinnen. Zu verlieren ist die Möglichkeit, daraus zu lernen. Gefühle zu zeigen ist der einzige Weg, das Leben glücklich zu leben.